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Der Duft der Pfirsichblüte - eine Australien-Saga

Der Duft der Pfirsichblüte - eine Australien-Saga

Titel: Der Duft der Pfirsichblüte - eine Australien-Saga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rütten & Loening Verlag <Potsdam>
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Penelope reckte ihr das Gesicht entgegen und freute sich über die Wärme auf der Haut …
    »Bist du schon lange hier?«, flüsterte es da neben ihr.
    Widerstrebend wandte Penelope sich um. Eine junge Frau, in Lady Roses’ Alter, hatte sich neben sie gekauert. Ihr Kleid bestand nur noch aus Fetzen, die über den knochigen Schultern zusammengebunden waren. Die blasse Haut war übersät von Schwären und aufgekratzten Flohstichen. Mistplacken hatten sich neben den Buckel auf dem rechten Schulterblatt eingegraben. Vielleicht war sie zu ungelenkig, um sie zu entfernen. Sie zog die Füße auf die Bank unddrehte sich so zu Penelope, dass der hässliche Buckel nicht mehr zu sehen war.
    »Sehr lange«, erwiderte Penelope. Ja – wie lange eigentlich? Anfangs hatte sie noch versucht, die Tage zu zählen. Erst hatte sie sich verzählt, dann hatte sie ganz damit aufgehört. Es spielte keine Rolle mehr.
    Die junge Frau lächelte. »Sicher bist du schon länger hier. Ich erinnere mich nicht mehr an dein Kommen.« Dann hielt sie ihr die Hand hin – eine schmale, zierliche Näherinnenhand. »Ich heiße Caroline. Hängen woll’n sie mich, für meine Diebereien. Hab Perlen geklaut. Perlen sind Tränen, die alten Weiber haben doch recht gehabt. Du klaust sie, und sie weinen über dich, und dumm bist du, wenn du’s nicht merkst. Warte schon drei Jahre auf den Strick, vielleicht wird’s nie was. Umsonst geweint, die Perlen.« Ihr Lachen nahm einen hysterischen Klang an.
    »Was bedeutet Deportation?« Penelope erschrak über sich selber, weil sie kein Interesse an der Geschichte der Frau verspürt hatte, nicht das Geringste. Wurde man so in Newgate?
    Caroline fuhr sich mit der schmutzigen Hand über das Gesicht. »Deportation? Nach Botany Bay?« Ihre Züge wurden ernst. »Weißt du denn nicht, wo das ist?«
    Penelope schüttelte den Kopf. Hatte sie schon einmal von Botany Bay gehört? Hier im Gefängnis verkamen Erinnerungen zu verfilzten Gedankenknäueln, die sich nicht entwirren ließen, weil man das Fadenende nicht fand – das Schlimmste im Leben einer Häklerin. Ja, vielleicht hatte sie den Namen schon mal gehört.
    »Sie bringen euch mit dem Schiff nach New South Wales. Dafür segelt man ein halbes Jahr um die Welt, und dort in New South Wales haben sie ein neues Gefängnis gebaut.Es liegt unter freiem Himmel, und es ist dort so heiß, dass einem die Sonne das Hirn verbrennt. Vielleicht ist das besser, als hier im englischen Regen ersaufen zu müssen.« Sie zwinkerte kurz, dann wurde sie wieder ernst. »Es gibt kein London dort, in New South Wales. Keinen König, kein Kensington Park und keine feinen Leute. Es gibt nur Verbrecher dort. Und Iren.« Das letzte Wort sprach sie mit all der Verachtung aus, die man nur hineinlegen konnte. Iren! Die hatte Gott geschaffen, um London zu ärgern, hieß es. Alles Schlechte kam von den Iren, die Pocken, die Läuse und selbst die Franzosenkrankheit.
    »Und was tut man dort? In … Botany …«, flüsterte Penelope.
    Caroline entblößte blitzend weiße Zähne. »Arbeiten, nehme ich an. Bis dir der Arsch blutet. Ich kannte mal einen, der hat’s überlebt und ist sogar zurückgekommen. ›Sei tapfer und halt dein Maul‹, hat der immer gesagt. ›Maul halten tut weniger weh‹, hat er gesagt. Was hat er noch gesagt? Ich weiß nich’ mehr, ist schon ’ne Weile her.« Sie nagte an ihrem Daumen, der um den Nagel schon ganz wund gebissen war. »Er sagte noch: ›Du tust, was sie sag’n, und sie tun, was sie woll’n.‹«
    »Hat er von Sklaven geredet?«, fragte Penelope vorsichtig. »So wie in den Baumwollkolonien?«
    »Angeblich nich’, angeblich woll’n sie fortschrittlich sein. Du tust halt, was sie woll’n, hat er gesagt. Ja. Das hat er gesagt.« Caroline starrte vor sich hin und wandte sich dann ab, als hätte sie schon zu viel gesagt.
     
    Ein letztes Mal sah Penelope Caroline an einem Sonntag in der Kapelle von Newgate. Dort saß sie mit vier Männern auf der schwarz gestrichenen Bank, die den zum Tode Verurteiltenvorbehalten war, und hörte ihre eigene Seelenmesse. Klein und schmal wirkte sie neben den Kerlen, zwei Mördern und einem Wilderer. Ihr Buckel trat deutlich hervor, weil sie den Kopf gesenkt hielt und ihre Hände zwischen die Beine gesteckt hatte, wie um sie ein letztes Mal zu wärmen, während das Kyrie eleison verklang. Neben ihr stand ein geöffneter Sarg. Er war viel zu groß für sie und voller Schrammen vom Herumtragen in der Kapelle. Dieser Sarg verließ die

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