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Der Duft der Pfirsichblüte - eine Australien-Saga

Der Duft der Pfirsichblüte - eine Australien-Saga

Titel: Der Duft der Pfirsichblüte - eine Australien-Saga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rütten & Loening Verlag <Potsdam>
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hören.
     
    »Was bedeutet ›Deportation‹?«
    Wie oft war diese Frage im Geplapper der anderen Sträflingsfrauen untergegangen? Niemand schien sie zu hören. Zwanzig Frauen waren sie in dem engen Raum, eine jede hatte ihre Filzmatte an einem Haken an der Wand hängen, was dem Raum einen Anschein von Ordnung geben sollte. Penelope und Mary mussten ihre Schlafmatten unter dem Tisch ausrollen, weil an den Wänden kein Platz mehr war. Das glitschige, braune Stroh, das den Boden der Zelle bedeckte, stank unter dem Tisch nach vergammelten Essensresten. Außerdem zog ein ekelhafter Geruch vom Aborteimer herüber. Wenn der Eimer voll war, pinkelten die Frauen ins Stroh. Penelope steckte ihre Nase in den Ärmel und bildete sich ein, einen Hauch des heimeligen Duftes aus dem Haus Nr. 28 wahrzunehmen.
    Die Wärterin achtete darauf, dass niemand länger schlief als erlaubt und dass jede Insassin ihre Habseligkeiten beieinanderhielt – Decke, Löffel und den Napf für die wässrige Brotsuppe, die dreimal täglich von den Frauen in einem Topf über dem Feuer zubereitet wurde. Die Verteilung der Suppe war stets ein Grund für Streit um die wenigen Fleischbrocken. Vorgenommen wurde sie durch Sibylla, die auch nur ein Sträfling war, sich ihre Position aber verdient haben musste. Ihr Wort hatte in der Zelle Gewicht.
    Niemand sprach mit den beiden neuen Frauen. Penelope und Mary wurden nur angegafft – von Dirnen, Diebinnen und von zwei alten Hundekotsammlerinnen, deren Lumpen ihr armseliges, stinkendes Gewerbe verrieten. Mit dem von ihnen gesammelten Kot beizten die Gerber ihre Lederhäute. Außerdem hockten Dienstmädchen da, die Wäsche gestohlen hatten, und ein betrügerisches Kaufmannsweib. Auf sie alle wartete der Strang.
    Jede von ihnen schien zu wissen, weshalb Penelope und Mary hier waren. Mary meinte zu spüren, wie viel Abscheu die Frauen vor ihrer Tat empfanden. Dabei würde keine von ihnen zögern, Frauen wie sie aufzusuchen, wenn es nötig wäre, dachte sie bitter. Penelope wich keinen Zoll von ihrer Seite, was ihr in diesem schon überfüllten Raum auf die Nerven ging. Als Einzige flocht ihre Tochter sich das Haar jeden Tag, als ob sie auf den Prinzen wartete. Marys Ärger wuchs. War das Mädchen denn wirklich so dumm, dass sie nicht wusste, auf welchen Weg ihre verdammte Torheit sie beide gebracht hatte? Dass sie wie ein kleines Kind immer wieder fragen musste? In ihrer Ablehnung brachte Mary kaum noch ein Wort hervor. Sie wusste, dass ihr Schweigen für die anderen bedrohlich wirkte.
    »Hat sie den Verstand verloren?«, fragte die eine Kotsammlerin eines Morgens und schob sich auf Knien näher zu Penelopes Matte.
    Mary hob den Kopf.
    »Was bedeutet Deportation?«, kam prompt die leise Frage der Tochter.
    »Das weißt du nicht?« Die Alte lachte hämisch auf. »Das weiß doch jeder Straßenbengel.« Penelope verzog ihr Gesicht, und Mary ahnte, dass sie nun eine törichte Erwiderung von sich geben würde.
    »Ich bin Spitzenhäklerin«, entgegnete Penelope, »kein Straßenbengel. Meine Herrschaft wohnt in Belgravia. Ich weiß so was nicht, alte Frau.«
    Die Alte klatschte sich auf die mageren Schenkel, ihr dünner Körper wurde vom Lachen durchgeschüttelt. »Belgravia – ich werd nich’ mehr!«, wieherte sie.
    Frauen drehten sich um. Ihre Neugier kroch durchs glitschige Stroh. Mary konnte sich nicht mehr beherrschen.Gleich würde Penelope noch den Namen ihrer Herrschaft nennen. Unbeherrscht packte sie Penelope an den Haaren und riss sie so heftig zu sich, dass ihre Tochter in die Pfütze neben dem Aborteimer fiel.
    »Dein geschwätziges Maul hältst du von nun an!«, zischte sie ihr ins Ohr. »Kein Wort mehr, hörst du! Verfluchte Närrin! Lerne verdammt noch mal zu schweigen!«
    Eingeschüchtert blieb Penelope neben dem Eimer hocken, auch als sich die fette Kaufmannsfrau darauf fallen ließ und ihn mit ihren Blähungen zum Klingen brachte. Am Morgen hatte man noch zwei Frauen in die Zelle geschoben, wo es nun so eng wurde, dass selbst die Wärterin protestierte, doch der Gefängnisdiener hatte nur gelacht …
    Beim Hofgang um die Mittagszeit verließ Penelope zum ersten Mal, seit sie in Newgate war, die Seite ihrer Mutter. Mary blieb wie immer stumm, schaute nicht einmal hoch, als sie ging. Dennoch begleitete ihr Grimm sie, schien über sie zu wachen, dass sie nicht doch noch schwatzte und Missgunst und Hass bei den Frauen weckte. Sie würde den Mund halten, nahm Penelope sich vor. Die Sonne schien in den Hof.

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