Der Duft der Pfirsichblüte - eine Australien-Saga
Penelope fühlte die neugierigen Blicke der anderen Frauen. Sie fühlte ihre Habgier und die Lust, ihr etwas wegzunehmen, noch bevor sie es in Händen hielt. Sie reckte sich noch ein wenig mehr, sie war tatsächlich größer als Lady Rose.
»Ich brauche nichts«, begann sie. »Ich brauche hier nichts.« Die Worte fühlten sich gut an. »Ich will nichts von Ihnen, Mylady.«
»Ich habe dir etwas mitgebracht, Mädchen.« Die Lady hatte sich wieder gefangen. »Wie du siehst, trage ich den Schleier und bin in Christi Dienste getreten. Ich habe allem entsagt und all meinen Besitz, meine Kleider und Spitzen weggegeben. Aber du sollst wissen, dass ich niemals zuvor eine solch meisterhafte Arbeit wie deinen Schal besessen habe. Nimm das hier zum Dank.«
Mit einer gönnerhaften Belgravia-Geste drückte die Lady Penelope ein kleines Bündel in die Hand. Sie nickte kurz und entfernte sich rasch. Barmherzigkeit hatte wohl selbst für eine Braut Christi ihre Grenzen.
Penelope sah ihr wortlos hinterher. Die Lady hatte den Schal weggegeben.
Pfirsichblüten glitten durch ihre Gedanken. Ihr unbeschreiblicher Duft und das zarte rosafarbene Gebilde, in welchem sie den Duft eingefangen und berührbar gemacht hatte. Die Tage der Pfirsichblüten, voll von wohlriechender Sauberkeit und Unbeschwertheit, ein Traum aus Luft und Glück …
Weggegeben.
Mit beiden Fäusten die Reling umklammernd, schworPenelope sich, dass, wo auch immer dieser verdammte Kahn sie hinbringen würde, sie niemals mehr für andere Menschen Spitze häkeln wollte.
Mary sah, wie die Hände ihrer Tochter von der Reling rutschten. Für einen Moment hatte sie Stolz empfunden, mit welcher Haltung das Mädchen die Lady abgewiesen hatte. Penelope war doch kein Schwächling, kein armseliges Wesen, das sich wie ein Baumwollsklave herumstoßen ließ … Sie hatte einer Dame die Stirn geboten! Die Weiber näherten sich, voller Neugier, was die Besucherin wohl hinterlassen haben mochte. Alles hatte einen Wert auf dem Kahn der Hoffnungslosigkeit, Diebstahl und Handel blühten hier genauso wie im alten Leben in London. Mary witterte die Gefahr. Bevor die Erste bei ihnen angekommen war, riss sie Penelope das Bündel aus den Händen. Es würde keinen Ort auf dem Schiff geben, wo sie es unbeobachtet würde auspacken können, und sie hatte ohnehin nicht die Kraft, es gegen die gierigen Weiber zu verteidigen.
Ihr, Mary MacFadden, nahm keiner etwas weg, dazu fürchteten die Frauen ihre Schweigsamkeit zu sehr. Bei ihr war das Bündel vor diebischen Händen sicher. Penelope wehrte sich nicht. Sie schaute schweigend dem Boot hinterher, das die Lady an Land brachte, und Mary gelang es nicht, ihre Gedanken zu erraten.
Der Sturm wütete schon seit dem Morgen. Irgendwer hatte behauptet, das sei auch kein Wunder, schließlich gehe es auf Weihnachten zu. Weihnachten? Sie waren darüber in Streit geraten, ob man nicht schon längst Januar schrieb, zwei Frauen hatten eine Prügelei angefangen und waren mit der Peitsche auseinandergetrieben worden. Ein Hiebhatte auch Penelope getroffen, die nicht schnell genug hatte fliehen können. Ihr zerlumptes Kleid klaffte nun am Rücken vollends auseinander. Die eiskalte Luft biss in ihre Haut. Immer dichter fielen die Regentropfen vom Himmel. Ihre Füße waren schon seit dem Mittag ohne Gefühl. Kälte lähmte die Glieder. Doch mussten die Frauen ihre Arbeiten an Deck bei jedem Wetter verrichten. Und starb eine, wie vorgestern Elsie Coburn nach einem blutigen Hustenanfall, so warf man den Leichnam in das Ruderboot und brachte ihn ans Ufer, wo er verscharrt wurde.
»Ist dir kalt?«, flüsterte jemand im Halbdunkel. Penelope fuhr zusammen und zog ihre Beine an den Leib. Trotzdem gelang es ihr nicht, sich zwischen die Balken zu drücken, von denen sie seit dem frühen Morgen groben Muschelkalk abkratzte. Mike, der Aufseher, fand seinen Spaß daran, sie jeden Tag etwas anderes abkratzen zu lassen.
»Ist dir kalt, Mädchen?«
Der Ire! Ein Schauder lief ihr den Rücken herunter. Ein paar Tage hatte sie ihn nicht gesehen, sosehr sie auch geschaut und ihn sogar in dem Leichenboot neben der toten Elsie vermutet hatte. Nun stand Liam so dicht vor ihr, dass sie sich lieber aufrappelte, hin und her gerissen zwischen Furcht und der Erleichterung, dass er lebte. Sie hatte von ihm geträumt, wie ihr in dem Moment klar wurde, als er einen Schritt auf sie zukam. Sie hatte so geträumt, wie man es gewiss nicht durfte. Das zerrissene Kleid rutschte über ihre
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