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Der Duft des Anderen

Der Duft des Anderen

Titel: Der Duft des Anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Ahrens
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gefallen?«
    »Balalaika, Bolschoi und Boris Godunow?«, grinste Joachim, während er die Kanne hochhob und prüfend schüttelte.
    »Wladiwostok, Wodka und warme Wäsche«, ergänzte Alexander trocken und legte die rechte Hand auf die Türklinke. »Da müsste noch Kaffee drin sein. Und rechts in meiner Schublade liegt eine Mappe mit Berichten über Semipalatinsk.«
    »Das Atombomben-Versuchsgelände in Sibirien?«
    »Das
ehemalige
Versuchsgelände. Bitte beachte den Unterschied. Jetzt brauchen sie fachliche Beratung, wie und ob das Gelände zu nutzen ist. Zukünftig will man dort wohl Maiglöckchen züchten.«
    »Ich plädiere für Riesentomaten und gigantische Kartoffeln. Was sagst du als Strahlenexperte dazu?«
    »Sei bitte nicht albern. Lies dir das Zeug mal durch, und halte dich zur Verfügung. Kann sein, dass ich dich während der Sitzung dazu bitte. Ich habe den Herren schon viel von dir erzählt, jetzt halten sie dich für einen kleinen Einstein.«
    Joachim goss sich noch einen Kaffee ein, klemmte sich die Mappe unter den Arm und lächelte selbstgefällig. »Wenn du mich brauchst, ich bin in meinem Büro und werfe einen kurzen Blick auf Semipalatinsk. – Oder auf Minsk oder Nowosibirsk«, murmelte er. »Junge, du musst wohl dein Russisch auffrischen.«

4
    Barbara Waszcynski stieg die Holztreppe hinauf auf den Boden. In das schräge Dach war ein großes Fenster eingelassen. Staub tanzte im flirrenden Licht, mitten im Raum auf der Staffelei stand ein zugehängtes Bild. Daneben eine große Tischplatte, übersät mit Pinseln, Terpentintöpfen, schmutzigen Tüchern und einer Unmenge zerdrückter, schmutziger Farbtuben. Irgendwo dazwischen, von den Terpentintöpfen kaum zu unterscheiden, eine benutzte Kaffeetasse. Barbara nahm ihr glattes, dunkelbraunes Haar zurück, fischte zwischen den Farbtuben ein Gummiband heraus und band sich einen Pferdeschwanz. Es war heiß unter dem Dach. Obwohl sie nur mit Shorts und einer ärmellosen Bluse bekleidet war, schwitzte sie. Sie zog beides aus und warf die Stücke auf eine große, abgewetzte, aber gemütliche Couch, die fast die gesamte rechte Bodenecke ausfüllte. Dann nahm sie von einer Stuhllehne ihren bunt gefleckten Malerkittel, der von der Ölfarbe schon ganz steif war, weil er niemals gewaschen wurde. Sie zog ihn über ihre Unterwäsche, dann stellte sie das große Fenster in Kippstellung. Sie fand ihre Kaffeetasse und wischte sie flüchtig mit einem sauberen Stück Küchenkrepp aus. Auf einer Vitrine zur Linken standen ein Kaffeekocher und ein CD-Player. An der Wand und auf dem Fußboden stapelten sich ihre fertigen und halb fertigen Bilder. Sie bereitete den Kaffee zu und schob Lucia di Lammermoor in den CD-Player. Barbara malte gern mit Musik. Sie mochte Opern. Verdi, Donizetti, ein bisschen Wagner, Lortzing und Weber, nichts Schweres, etwas zum Mitsingen. Während sie auf den Kaffee wartete, fiel ihr Blick nach oben, wo ein runder Spiegel an den schrägen Balken festgenagelt war. Sie streckte sich die Zunge heraus, nicht übermütig, eher resigniert.
    Sie war eine schöne Frau, sinnlicher Mund, dunkle, ausdrucksvolle Augen, hohe Wangenknochen, und doch entbehrten ihre eher scharf geschnittenen Züge nicht einer gewissen Herbheit, und um ihre Mundwinkel lag eine Entschlossenheit, die sie oft streng machte.
    Seit sie das Haus allein bewohnte – das war, seit ihre Eltern vor gut einem Jahr bei einem Flugzeugunglück ums Leben gekommen waren –, hatte sie sich von den meisten Bekannten zurückgezogen. Zuerst war es Trauer gewesen, dann ein nie gekanntes Gefühl der Freiheit, endlich mit sich allein sein zu dürfen. Frei zu sein von der Verpflichtung, die gute Tochter zu spielen. Ein gutes Kind wäre sie gern gewesen, aber eine gute Tochter?
    Ihr Vater war selten zu Haus. Als Mitarbeiter im diplomatischen Dienst war er oft auf Reisen. Von diesen Reisen hatte er wunderbare Dinge mitgebracht: Vergoldete Buddhastatuen aus Thailand, Massaispeere, Masken aus grünen Mosaiksteinen, die von den Azteken stammten, einen Schrumpfkopf aus Neuguinea – ihr Vater behauptete stets, es handele sich um einen Menschenkopf, obwohl Barbara wusste, dass es ein Affenkopf war –, Repliken von ägyptischen und griechischen Kunstwerken. Barbaras Vater war kein Kunstkenner, er kaufte alles, was ihm gefiel und stellte es in seine wundervolle Bibliothek. Dort gab es einen alten Globus, zwei alte, etwas abgewetzte, aber urgemütliche Ledersessel, in denen Barbara Stunden verbrachte, und

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