Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Duft des Anderen

Der Duft des Anderen

Titel: Der Duft des Anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Ahrens
Vom Netzwerk:
gekommen war –, der Dompfaff jedenfalls war groß, schlank, dunkelhaarig, aber kalt – eiskalt dachte Inge, wenn sie an seine Augen dachte. Dennoch war er als Vorgesetzter tadellos, sie konnte sich nicht beschweren. Dass er die Tüchtigkeit seiner Sekretärin schätzte, bewies er durch angemessene Gehaltserhöhungen, doch menschlich stand ihm offensichtlich sein Fußabtreter näher. Steinchen war da wesentlich netter – doch Inge spürte auch bei ihm eine gewisse Reserviertheit. Nicht einmal Viola, die bildhübsche Laborantin, konnte sich erinnern, jemals mehr als ein höfliches Lächeln von ihm erhalten zu haben.
    »Ist Alexander da?«
    Inge krauste die Stirn. Wenn schon, dann war sie für Gleichbehandlung. In ihrer Gegenwart war es immer noch der Herr Professor.
    »Entschuldigung, ich meine natürlich Herrn Kirch.«
    Steinchen war tatsächlich rot geworden, oder irrte sie sich? Sie lächelte milde und tat, als habe sie nie etwas anderes als Herr Kirch gehört. »Ja, er ist da.« Sie wies auf die Tür zum Chefzimmer. »Gehen Sie doch gleich durch, Herr von Stein.«
    Er strich sich flüchtig eine silberblonde Strähne aus der Stirn. Inge hatte den Verdacht, dass er sein Haar deshalb hatte so lang wachsen lassen, damit er sich dieser erotischen Verlegenheitsgeste jederzeit bedienen konnte. Er hatte das schönste Haar, das sie je gesehen hatte – silbern schimmernd, und er trug es ziemlich lang – für einen Wissenschaftler, fand Inge. Es umrahmte vorteilhaft sein gebräuntes Gesicht mit den graugrünen Augen.
    »In zwanzig Minuten erwartet er allerdings Besuch«, fügte sie rasch hinzu, um Herrn von Stein merken zu lassen, wozu ein Vorzimmer da war. Wie sie gehofft hatte, wandte er sich an der Tür noch einmal zu ihr um und sagte mit sanfter Stimme: »Es wird nicht lange dauern.« Flüchtig blitzten seine Zähne, Inge wurde rot, wandte sich ab und hantierte geschäftig mit der Maus. Als sie die Tür ins Schloss fallen hörte, öffnete sie die obere linke Schublade ihres Schreibtisches und entnahm ihr einen Schokoriegel. Steinchen brachte sie immer wieder durcheinander, und das Süße besänftigte ihre Nerven.
    Die gefriergetrocknete Stimme Alexander Kirchs aus der Sprechanlage ließ sie zusammenzucken: »Frau Lorenzen, bringen Sie uns bitte Kaffee. Danke.«
    Fünf Minuten später rollte sie den Teewagen in das Zimmer ihres Chefs. Professor Dr. Kirch, Leiter eines Labors für das Atomforschungszentrum in Geesthacht, saß wie immer vor dem Panoramafenster, sodass sein Gesicht im Schatten lag. Man hätte ihn eher für den Chef einer Werbeagentur als für einen Professor der Atomphysik gehalten. Das Haar trug er im Nacken noch länger als von Stein, an der Stirn allerdings korrekt gescheitelt. Sämtlichen modernen Bestrebungen zum Trotz trug er stets blütenweiße Hemden und tadellos geschnittene Anzüge in den freundlichen Schattierungen der Farbe grau. Worüber das ganze Büro lästerte, waren seine geradezu lächerlich bunten Krawatten. Hier schien ihn sein konservativer Geschmack völlig im Stich zu lassen. Doch Dompfaff Kirch war darüber erhaben, die Sticheleien drangen nicht hinauf in seine eisigen Höhen.
    Während Inge Lorenzen die Kanne und die Tassen auf den runden Besprechungstisch in der linken Ecke stellte, hatte sie wie stets das Gefühl, überhaupt nicht wahrgenommen zu werden. Auch Steinchen lächelte nicht mehr, ja, beide Männer schienen überhaupt nicht zu atmen, sodass Inge ihren eigenen Atem als aufdringliches Geräusch empfand. Der Dompfaff blätterte in einem Prospekt und Steinchen machte sich Notizen. Inge war froh, als sie das Zimmer wieder verlassen konnte.
    Alexander Kirch ließ den Prospekt sinken. »Wo warst du gestern?«
    Joachim von Steins Hand am Bleistift erstarrte mitten in der sinnlosen Kritzelei. »Ich konnte nicht weg von zu Hause.«
    »Monika?« Mehr wie einen Fluch als eine Feststellung stieß Kirch diesen Namen hervor. »Ich dachte, du betrachtest deine Ehe als Zweckgemeinschaft? Aber wenn sie beim Abendbrot im Negligé erscheint …«
    »Bitte, Alexander, das ist doch lächerlich!« Joachim von Stein schlug ärgerlich ein Bein über das andere und verschränkte die Arme. »Keine Szene im Büro, ja?«
    Alexander zupfte an seiner Krawatte. »Gut, gut. Aber ich habe zwei Stunden im Club auf dich gewartet, das solltest du wissen.« Er nahm eine Kaffeetasse und stellte sich mit ihr an das Fenster. Der Ausblick auf die Alster in der Aprilsonne war traumhaft, aber Kirchs

Weitere Kostenlose Bücher