Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Duft des Bösen

Der Duft des Bösen

Titel: Der Duft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
Vom Netzwerk:
handle sich schlicht und einfach um ein weiteres Opfer des Rottweilers? Zu diesem Zweck würde er ihr irgendein kleines persönliches Stück entwenden, wie er das bei allen anderen auch gemacht hatte. Sie zu beseitigen, wäre einfach, sie war leicht und nicht annähernd so groß wie er. Außerdem hatte er bereits reichlich Übung darin.
     
    Der neue Übergabepunkt befand sich von allen dreien am nächsten an der Star Street. Der vereinbarte Zeitpunkt lag später als sonst. Mitternacht. Selbstverständlich würde es dunkel sein. Sogar fast an der Sommersonnenwende wäre es dann ganz dunkel, besonders bei bedecktem Himmel.
    Um zehn Minuten vor zwölf brach er auf, da er nicht gezwungenermaßen herumhängen wollte, wie beim letzten Mal.
    Die Broadley Street machte auf ihn einen ziemlich finsteren Eindruck. Vielleicht würde einem das untertags nicht so auffallen, aber nachts hatte diese Gegend etwas Einsames und Leeres an sich, besonders in den schmalen Nebenstraßen mit ihren Sozialbauten, zwischen denen gelegentlich hohe viktorianische Häuser aufragten. Obwohl in einigen Fenstern Licht brannte, schienen keine Menschen unterwegs zu sein. Doch dann platzte aus der Penfold Street eine Horde Teenager heraus, die einander anrempelten und sich unter gespenstischem Geheule eine leere Bierdose als Fußballersatz zukickten. Sie machten vor ihm weiter und sprangen auf die Fahrbahn, ohne nach rechts oder links zu schauen. Viel zu schnell kam ein Auto mit offenem Dach angefahren, aus dem in voller Lautstärke Musik dröhnte und wummerte und quietschte. Danach kehrte wieder Stille ein, die jetzt noch tiefer zu sein schien als vorher.
    Während er die Straße überquerte, schaute er auf seine Uhr. Kaum konnte er die Zeit ablesen. Zwei Minuten nach Mitternacht, aber das Mädchen war noch nicht da. Nichts rührte sich, niemand trieb sich in der stillen Gartenanlage herum, die keine vernünftige Frau um diese Zeit allein betreten würde. Bei diesem Mädchen war das etwas anderes, jedenfalls bildete sie sich das wohl ein. Dann sah er, wie sie von der Ashmill Street her näher kam, oder besser gesagt, heranglitt, denn sie hatte den Schritt aller sittsamen Orientalinnen: langsam, als hätte sie alle Zeit der Welt, mit hoch erhobenem Kopf, Gesicht, Kopf und Körper gänzlich unter nachtfarbener Kleidung verborgen.
    Obwohl weder Mond noch Sterne die Nacht erhellten und es auch nur wenige Straßenlaternen gab, konnte er erkennen, dass sie einen knöchellangen dunkelgrauen Mantel mit Gürtel trug und sich einen schwarzen Schal um den Kopf, über die untere Gesichtshälfte und die Stirn, gewickelt hatte. Sie ließ nicht erkennen, ob sie ihn gesehen hatte, sondern stellte sich wenige Meter von dem Baum entfernt hin, unter dem er die Dokumententasche abstellen sollte. Doch anstatt sich dem Baum zu nähern, blieb er an Ort und Stelle stehen, starrte sie an und versuchte, mit ihr Blickkontakt aufzunehmen. Ob ihm das gelungen war, wusste er nicht. Ihre Augen und die Augenbrauen lagen frei, das konnte er erkennen, aber nicht, ob sich darin das geringe vorhandene Licht spiegelte. Vermutlich hatte sie die Lider gesenkt. Schnüffelnd sog er die Luft ein und versuchte, ihren Geruch zu erfassen, denn eines wusste er: Sogar aus dieser Entfernung würde er sie riechen können. Aber da war nicht der geringste Hauch von jenem Parfüm. Natürlich nicht, unmöglich. Wenn überhaupt, dann roch es nach Gras, nach einem Rest Tabakrauch und eine Spur nach – Kokosnuss. Seltsam.
    Seine Hand tastete in der Tasche nach dem Elektrokabel. Er legte die Finger darum. Mit der Tragetasche in der anderen Hand näherte er sich ganz langsam dem Baum und hoffte, sie mit seiner deutlich zur Schau getragenen lässigen Ruhe nervös zu machen. Vielleicht hatte sie ihn beobachtet, vielleicht auch nicht. Er stellte die Tasche ins Gras, drehte sich um und verharrte ganz ruhig, um das Mädchen anzusehen. Wenn sie die Nervosität zeigen würde, die sie eigentlich empfinden müsste, wäre die Sache leichter, dachte er. Wenn sie irgendetwas zeigen würde, anstatt nur wie eine Statue dazustehen. Ihn packte eine befremdliche Abscheu vor der Tat, die er ausführen musste, ein Widerwille, den er noch nie empfunden hatte. Kaum hatte er bei früheren Anlässen gewusst, dass dies die Vorherbestimmte war, dröhnte das Blut in seinem Schädel, sein ganzer Körper pulsierte und pochte, und doch schien er Sprungfedern unter den Füßen zu haben, und seine Hände wirkten wie elektrisiert. Warum

Weitere Kostenlose Bücher