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Der Duft des Bösen

Der Duft des Bösen

Titel: Der Duft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
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Saris trug sie zu festlichen Diners oder Wohltätigkeitsempfängen. In ihrer Sammlung befanden sich ein paar prächtige Stücke. Zu jedem konnte man einen Schleier tragen. Es könnte durchaus ratsam sein, Julittas Gesicht mit der Ecke einer Dupatta zu bedecken. Sie hatte eine sehr helle Haut und würde in einem Sari merkwürdig aussehen, wenn sie nicht sehr stark geschminkt wäre. Doch das könnte Anwars Fähigkeiten übersteigen.
    Welchen würde seine Mutter nicht vermissen? Der zartrosa Sari mit der Silberbordüre sei inzwischen für sie zu jugendlich, hatte sie gesagt. Daran erinnerte er sich noch, aber auch den dunkelblauen mit dem weißen Muster hatte er sie nie tragen gesehen. Wahrscheinlich war er ihr für festliche Angelegenheiten zu schlicht erschienen. Andererseits musste die Trägerin ihr Gesicht unbedingt verhüllen, das war ihm inzwischen klar. Eine Frau im Sari könnte zwar eine Dupatta tragen, würde damit aber gewiss nicht ihr Gesicht verhüllen. Am hintersten Schrankende entdeckte er noch etwas anderes: einen bodenlangen Mantel mit Gürtel, ein dunkelgraues Kleidungsstück ohne jeden Schick, wie es Muslimas in einigen Ländern des Nahen Ostens tragen. Dann fiel es ihm wieder ein: Den hatte seine Mutter vor drei oder vier Jahren während eines gemeinsamen Urlaubs mit seinem Vater in Syrien gekauft. Er sei warm und für Aufenthalte im Freien während der Winterzeit sehr praktisch, hatte sie gemeint, als ihre Familie sie ausgelacht hatte. Seines Wissens hatte sie ihn nie getragen. Obwohl sie keinerlei Wert auf modische Kleidung legte, war dieses Teil sogar ihr zu unvorteilhaft erschienen.
    Julitta könnte ihn mit dem Hijab tragen. Vielleicht mit einem weißen. Oder, noch besser, mit einem Yashmak, denn nicht einmal ein Schal würde ihr Gesicht verbergen. Dass jemand einen solchen Schleier binden könnte, bezweifelte Anwar zwar. Aber es sollte genügen, wenn man ihr einen schwarzen Schal um den Kopf wickelte, quer über die Nase legte und noch einmal oberhalb der Augenbrauen und ihn dann hinten mit einem Knoten befestigte. Er rollte den Mantel zusammen. In einer Schublade fand er einen langen schwarzen Schal. Dann begab er sich wieder zum Van, ohne sich bei seinen Schwestern blicken zu lassen.
    Während der Fahrt nach Paddington beschäftigte er sich in Gedanken mit dem reichen Knacker. Bald müssten sie sich einen neuen Namen für ihn ausdenken. In dem Tempo, wie sie ihn molken, würde er in Kürze kein Geldesel mehr sein. Wohin sollte er ihn diesmal zum Treffen mit Julitta schicken? Wie wäre es mit der Grünanlage zwischen Broadley und Penfold Street, einem kleinen Dreieck aus Gras und Bäumen? Es handelte sich um eine ziemlich dubiose Gegend, in der es nach Einbruch der Dunkelheit nicht sicher war, obwohl sie nur einen Steinwurf von den teuren Wohnungen am Crawford Place und am Bryanston Square entfernt lag. Direkt auf der anderen Seite von Lisson Grove erstreckte sich zwischen der Station Marylebone und weiter Richtung Dorset Square der Boston Place, wo der Knacker eines von den Mädchen getötet hatte.
    Die Erinnerung an die Ermordung von Caroline Dansk, als sie an der Mauer bei der Eisenbahnstrecke entlang gegangen war, brachte Anwar auf den vermutlich ersten galanten Einfall in seinem ganzen Leben. Das hätte seinem Vater sehr gefallen, selbstverständlich ganz im Gegensatz zu dem Zusammenhang, aus dem sich dieser Einfall entwickelt hatte. Warum nicht? Als er sich ausmalte, wie er sich wieder einmal amüsieren würde, lächelte er in sich hinein.
     
    Nachmittags kam der Käufer der Chelsea-Porzellanuhr wieder. Inez dachte, er müsse einen Fehler gefunden haben. Vielleicht war das Porzellan abgesplittert, oder das Uhrwerk ging falsch. Aber nein, den wahren Grund nannte er nicht, sondern spazierte nur herum, bewunderte die Sachen und plauderte mit ihr. Er war sechzig, seit kurzem Witwer, pensionierter Rechtsanwalt und wohnte in St. John’s Wood. Zweifellos erwartete er, dass sie sich noch an den Namen erinnerte, den er ihr beim Kauf der Uhr für die Rechnung genannt hatte. Sie zermarterte sich das Gehirn, aber er fiel ihr nicht mehr ein. Leider konnte sie auch nicht einfach den Schreibtisch öffnen, die Rechnungskopie herausholen und nachsehen, während er mit ihr sprach.
    Freddy kam eine halbe Stunde später als versprochen von seinem Lunch mit Ludmilla im Ranoush Juice zurück. Trotzdem war Inez über seinen Anblick wider Erwarten gar nicht sonderlich erfreut. Ihr Besucher blieb danach nur noch

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