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Der Duft des Bösen

Der Duft des Bösen

Titel: Der Duft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
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Gin und Whisky besorgen. Wieder schweiften ihre Gedanken zu dem Moment ab, als sie seinen Arm berührt hatte und er zurückgezuckt war. War sie denn so abstoßend? Es war sinnlos, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Vermutlich hatte er den Vorfall längst vergessen. Sie warf einen Blick auf die Großvateruhr. Fünf vor halb zehn, und von Zeinab weit und breit nichts zu sehen. Zum ersten Mal sah Inez in ihr ein potenzielles Opfer des Rottweilers: ein junges Mädchen, das in der hereinbrechenden Dämmerung der Vorfrühlingsabende auf einen Bus nach Hampstead wartete. Eine langweilige Busfahrt mit Umsteigen – würde sie sich mitnehmen lassen, falls sich eine Gelegenheit bot? Würde sie zu einem Fremden ins Auto steigen? Wenn ihr Vater wirklich so reich wäre, wie sie behauptete, und in West Heath ein Haus und drei Autos besäße, hätte er ihr doch sicher gestattet, eines davon zu benutzen, oder ihr sogar ein eigenes gekauft.
    Zögernd gestand sich Inez ein, dass sie nicht so recht an die sagenhaften Reichtümer von Zeinabs Vater glaubte und auch nicht an das Haus und die drei Autos. Das Familiendomizil bestand wahrscheinlich doch eher aus einem bescheidenen Reihenhäuschen mit einem Auto, und der strenge Patriarch war vielleicht wohlhabend, aber nicht superreich. Ein Monster musste er auf seine Art trotzdem sein, wenn er seiner Tochter derart harte Regeln auferlegte, ohne ihr väterliche Fürsorge angedeihen zu lassen, indem er sie beispielsweise abholte, wenn sie im Dunkeln durch das Jagdrevier des Rottweilers musste. Halb zehn. Jede Minute würde Morton Phibling eintrudeln und mit qualmender Zigarre seine Variation des Hohen Liedes verkünden.
    Statt Zeinabs Verehrer kam jedoch eine Frau mit einem ungezogenen Kind herein. Es stürzte sich sofort auf die zerbrechlichsten Gegenstände im ganzen Laden: ein Tablett mit Regency-Likörgläsern. Im Handumdrehen schnappte sich Inez das Tablett und stellte es oben auf einem Bücherregal außer Reichweite. Das Kind fing an zu heulen.
    »Ach, halt die Klappe«, sagte seine Mutter.
    »Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?«, fragte Inez.
    »Ich bin auf der Suche nach einem Geburtstagsgeschenk. Vielleicht ein Schmuckstück.«
    »Davon haben wir nicht viel auf Lager.« Inez zog eine Schublade auf. »Das ist alles, was wir haben. Hauptsächlich Viktorianisches, aus Tombak und mit Tigerauge. Medaillons mit Haarlocken. Solche Sachen.«
    Das Kind fuhr mit beiden Händen in die Schublade und verteilte den Inhalt auf dem Boden. Schreiend ging die Mutter in die Knie. In dem Moment kam Zeinab zur Ladentür herein. Als Inez betont auf die Uhr schaute, sagte Zeinab: »Sie wissen doch, ich habe kein Zeitgefühl.«
    Die Kundin entschied sich für einen Ring aus Tombak mit einem Rosenquarz. Den Jungen hatte sie hochgehoben und auf ihre Hüfte gesetzt. Immer noch lag ein Großteil der Colliers und Armbänder auf dem Boden. Kaum war sie fort, kniete sich Zeinab hin, um alles aufzuheben. Dabei fielen ihr die schwarzen Haare schützend vors Gesicht.
    »Um beim Thema Schmuck zu bleiben«, meinte Inez, »noch nie habe ich gesehen, dass du eines der Stücke trägst, die dir Mr. Phibling kauft. Zum Beispiel diesen Zweig mit den Diamantrosen. Das wird ihn sicher nicht sehr freuen. Er muss ja glauben, du würdest sie nicht schätzen.«
    »Dann soll er das eben, ja? Wenn ich diese Diamanten tragen würde, wenn mein Paps auch nur wüsste, dass ich Diamanten habe, würde er mich umbringen.«
    »Ach so«, sagte Inez.
     
    Im Haus in der Abbey Road waren Keith und Will mit dem Renovieren des Esszimmers beschäftigt. Sämtliche Möbel stapelten sich in der Diele. Sie hatten neues Mahagoniparkett verlegt und in die beiden Nischen offene Regale eingebaut. Momentan bereiteten sie die Wände für den Anstrich mit einer atmungsaktiven Acrylfarbe vor. Die Hausbesitzer waren in der Arbeit, und die Putzfrau hatte gemeint, sie wäre durchaus für ein bisschen musikalische Unterhaltung. Also lief das Radio ziemlich laut, damit sie es in der Küche hören konnte.
    Keith hätte liebend gern gewusst, wie sich seine Schwester und Will am Samstagabend verstanden hatten. Kim hatte er seither nicht mehr gesehen, und außerdem hätte er mit einer unverblümten Frage auf alle Fälle gezögert. Will könnte ruhig einen Ton sagen, dachte er, aber Will sagte nichts. Er schien noch mehr zu grübeln als sonst, wirkte fast wie in Trance. Keith hatte am Telefon von seiner Mutter erfahren, dass Kim früh heimgekommen war.

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