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Der Duft des Bösen

Der Duft des Bösen

Titel: Der Duft des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Rendell
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Vielleicht hatten sich die Dinge trotzdem schon weiter entwickelt als gedacht. Vielleicht ließ Will sogar jetzt stillvergnügt ihr Rendezvous vor seinem inneren Auge ablaufen. Den Van hatte Kim gestern früh zurückgebracht und vor seiner Wohnung geparkt, ohne hereinzukommen. Die Schlüssel hatte sie einfach durch den Briefschlitz geschoben. Angenommen, sie hatten sich tatsächlich gut verstanden, und der Rücksitz des Vans hatte für mehr herhalten müssen als nur für eine Umarmung und einen Gutenachtkuss, dann würde sie vielleicht heute um die Mittagszeit vorbeischauen. Wenn er sie erst mal zusammen erlebt hätte, wüsste er genau Bescheid.
    Wenn er tatsächlich die Gedanken seines Mitarbeiters hätte lesen können, wäre er tief enttäuscht gewesen, denn Will war nicht in Gedanken bei Kim. Er hatte fast schon vergessen, dass es sie überhaupt gab. Mit dem Samstagabend war das etwas anderes. Der war für ihn das wichtigste Ereignis seit Jahren, vielleicht sogar in seinem ganzen Leben. Mit großem Vergnügen erinnerte er sich an die Filmszene, in der Russell Crowe mit Sandra Bullock und dem anderen Mann das Loch aushob und den Schatz darin vergrub. Ihr Dialog war in seinem Gedächtnis perfekt gespeichert, als hätte ihn ein Teil seines Gehirns wie ein Recorder wortwörtlich aufgezeichnet.
    »Hast du die Sirene gehört?«
    »In der Stadt heulen immer Sirenen. Tag und Nacht. Eine Sirene beweist noch gar nichts.«
    »Horch, sie kommt näher!«
    »Um Himmels willen!«
    »Wir müssen hier raus. Sofort. Über die Mauer, weg hier …«
    Und den Mann, der diesen letzten Satz ausgestoßen hatte, hatte man ins Rückgrat geschossen. Er würde nie wieder laufen können (bei dieser Szene hatte sich Will gezwungen, die Augen offen zu halten). Russell Crowe hingegen starb, als er mit zwei Pistolen in den Händen auf den Polizisten losging. Nur dem Mädchen war nichts passiert. So konnte sie an ihrem sicheren Fluchtort in Südamerika sagen, dass man den Schatz nie gehoben hatte. Dass er noch heute dort liegen musste …
    Obwohl er sich an alles erinnern konnte, würde er sich den Film sicherheitshalber ein zweites Mal ansehen. Ob Becky auch mitkäme? Mit Becky war er immer gerne zusammen, lieber als mit sonst jemandem auf der Welt. Trotzdem wäre es am besten, wenn er allein ginge, das musste er sich eingestehen. Vielleicht heute Abend oder morgen. Obwohl er den Großteil des Films noch wunderbar im Gedächtnis hatte, wusste er nicht mehr so richtig, wie das Haus ausgesehen hatte, bei dem sie gebuddelt hatten. Auch die Hausnummer in der Sixth Avenue hatte er weder gehört noch gelesen. Bisher wusste er noch nicht einmal, wo die Sixth Avenue lag, aber das würde er herausfinden. Wenn er sich erst einmal den Schatz geholt hätte, wären seine ganzen Probleme gelöst, genau wie die von Becky. Die Juwelen würde er verkaufen und dafür eine Menge Geld bekommen. Und damit würde er ein Haus kaufen, das für sie beide groß genug war. Es gab nur einen einzigen Grund, warum er nicht bei ihr wohnen konnte: die Größe ihrer Wohnung und die Tatsache, dass sie nur ein Schlafzimmer hatte. Ein großes Haus würde er kaufen, mit vielen Schlafzimmern und jeder Menge Platz für sie beide.
    Zur Mittagspause schaute Kim nicht vorbei. Keith war enttäuscht. Heute Abend würde sie nicht ausgehen, das wusste er ganz genau. Eigentlich hätte ihre Freundin vorbeikommen sollen, damit sie sich gegenseitig die Nägel richten und Gesichtsmasken auftragen konnten. Aber heute konnte die Freundin nicht. Also wäre Kim frei. Vielleicht hatten sie sich wieder verabredet. Wenn er doch nur Will fragen könnte, doch das ging nicht. Bei dem Radiolärm mit dem regelmäßigen Trommelrhythmus – als würden unter der Erde irgendwelche Trolle herumhämmern – wären die Hausbesitzer in der Abbey Road taub geworden, ganz im Gegensatz zu Will, der es kaum wahrnahm. Er blieb in seine Gedankenspiele versunken, selbst beim Essen – er hatte sich selbst gemachte Brote mit kaltem Schweinebraten mitgebracht – und auch, als er anfing, mit der Farbrolle die Fensterwand zu bearbeiten.
    Wie kaufte man ein Haus? So etwas machten die Leute ständig, das wusste er. In dieser Straße und in seiner eigenen sah er Laster stehen, die mit Mobiliar beladen wurden. Die Leute zogen um. Genau so nannten sie das: »Umziehen«. Wie man sich ein anderes Haus zum Einziehen besorgte, wie man einen Schlüssel zum Öffnen der Haustür bekam, damit man die eigenen Sachen hineinstellen konnte

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