Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Duft des Sommers

Der Duft des Sommers

Titel: Der Duft des Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Maynard
Vom Netzwerk:
Dabei fiel mir auf, dass ich gerne kochte, und obwohl meine Mutter so gut wie nichts vom Kochen verstand, hatte ich aus irgendeinem Grund Talent dafür. Eine meiner Spezialitäten, die ich allerdings nicht in der Schule gelernt hatte, waren Pies.
    Während meiner gesamten Schulzeit behielt mein Vater die Tradition des gemeinsamen Essens bei Friendly’s am Samstagabend bei, aber als ich am Wochenende eigene Verabredungen hatte – was schließlich doch häufiger vorkam
–, begannen wir uns während der Woche zu treffen, und Marjorie kam nicht mehr mit, was wohl nicht nur ich als Erleichterung empfand. Mit Richard verstand ich mich inzwischen gut, und manchmal hatte ich sogar richtig Spaß am Zusammensein mit meiner kleinen Schwester Chloe. Trotzdem blieben mein Vater und ich beim Essengehen nun unter uns, und auf meinen Wunsch hin trafen wir uns dann auch nicht mehr bei Friendly’s, sondern in einem Lokal namens Akropolis etwas außerhalb der Stadt, in dem es griechisches Essen gab, das mir besser schmeckte. Einmal, als Marjorie verreist war, um ihre Schwester zu besuchen, kochte ich sogar Chicken Marsala bei meinem Vater zuhause, ein Gericht, das ich in einer Zeitschrift entdeckt hatte.
    Eines Abends bei Spanakopita im Akropolis – und nach Genuss einiger Gläser Rotwein – kam mein Vater dann auf das Thema Sex zu sprechen, über das er seit seinen ersten Versuchen, mich ins Leben einzuführen, kein Wort mehr verloren hatte.
    Überall wird von dieser wilden hemmungslosen Leidenschaft geredet, sagte er. Darum geht es auch in all den Songs. Deine Mutter war so. Sie war in die Liebe verliebt. Halbheiten kannte sie nicht. Sie empfand alles so intensiv, dass die Welt ihr zu anstrengend war. Sobald sie von einem Kind hörte, das Krebs hatte, oder einem alten Mann, dessen Frau gestorben war – oder vielleicht auch nur sein Hund –, fühlte sie mit diesen Leuten. Es kam mir immer vor, als fehlte ihr diese äußere dicke Hautschicht, die es anderen Leuten ermöglicht, durchs Leben zu gehen, ohne sich ständig zu verletzen. Die Welt wurde ihr zu viel.

    Ich bleibe lieber ein bisschen unempfindlicher, fügte er hinzu. Macht mir auch nichts aus, wenn ich was versäume.

    Einmal ging ich eines Abends zu Fuß von der Bibliothek – wo ich mich damals oft aufhielt – nach Hause. Es war an einem Feiertag – Columbus Day vielleicht oder wahrscheinlich eher am Veteran’s Day. Ich weiß noch, dass die Bäume die Blätter verloren hatten und es früh dunkel wurde, so dass überall in den Häusern schon die Lichter angingen. Wenn ich um diese Zeit in die Fenster schaute, konnte ich die Leute bei ihren alltäglichen Verrichtungen beobachten, und es kam mir vor, als ginge ich durch ein Museum und blickte in beleuchtete Dioramen zum Thema Wie Menschen leben oder Amerikanische Familie. Eine Frau, die in der Küche Gemüse schnitt. Ein Mann, der Zeitung las. Ein paar Kinder, die in einem Zimmer im ersten Stock Twister spielten. Ein Mädchen, das auf dem Bett lag und telefonierte.
    In dieser Straße gab es ein Apartmenthaus – vermutlich ein altes Haus, das in Eigentumswohnungen aufgeteilt worden war –, zu dem ich immer hochschaute. Es gab da eine Wohnung, in der die Familie jedes Mal am Tisch saß und zu Abend aß, wenn ich draußen vorbeiging. Ich hatte eine Art Aberglauben entwickelt, dass in dieser Nacht nichts Furchtbares passieren würde, wenn ich die Familie – Vater, Mutter und den kleinen Jungen – am Abendbrottisch sitzen sah. Dabei war der Mensch, von dem ich damals fürchtete, er würde die Nacht nicht überstehen, wohl meine Mutter.
Die zuhause wieder alleine in ihrer Küche saß, Wein trank und ihr Buch über das gute Leben las.
    Diese Familie hier sah hingegen immer so froh und zufrieden aus. Von all den Dioramen im Museum des Lebens wollte ich am liebsten zu diesem gehören. Natürlich konnte ich nicht hören, was die Leute redeten, aber ich merkte auch so, dass in dieser Küche alles in Ordnung war. Die Unterhaltung war vermutlich nicht sonderlich aufregend ( Wie war dein Tag, Schatz? Gut, und deiner? ), aber die Stimmung – das warme gelbe Licht, das ruhige Nicken, die Art, wie die Frau den Arm des Mannes berührte und wie sie beide lachten, wenn der Junge mit seinem Löffel herumfuchtelte – gab mir das Gefühl, dass diese drei in diesem Moment nirgendwo anders und mit niemand anderem zusammen sein wollten.
    Kann sein, dass ich einfach stehen geblieben war und vergessen hatte, wo ich war. Es war schon

Weitere Kostenlose Bücher