Der Duft des Sussita
nach Deutschland zurückmusste, schlug ich ihr vor, den Kibbuz Mischmar Haemek zu besuchen. Für Dagmar war es äußerst wichtig, einen Kibbuz zu besichtigen, diese Tatsache war mir schnell klargeworden, gerne würde ich einen Kibbuz sehen, sagte Dagmar mir mehrere Male in Tel Aviv.
Trotz der Filme, die sie gesehen hatte, trotz der Bücher, die sie darüber gelesen hatte, trotz all ihres Wissens wollte Dagmar einen Kibbuz sehen – mit eigenen Augen, wie sie sagte. Nun war sie ihrem Ziel näher als je zuvor, sie war ja in Israel. Sie wollte diese Gelegenheit nutzen. Unbedingt.
Dagmar behauptete, die Erfahrung sei wichtig, viel wichtiger als Theorien und Filme und Informationen, ich will den Kibbuz erleben, so sagte mir Dagmar in Tel Aviv. Sie war entschlossen, diese Idee zu verwirklichen.
Also nahm ich mir vor, meinen Freund, den Österreicher, wie er von allen genannt wurde, anzurufen. Er, der Österreicher, wohnte schon lange Zeit im Kibbuz Mischmar Haemek, er konnte ohne weiteres für Aufklärung sorgen, dachte ich, er könnte Dagmar und mir seinen Kibbuz zeigen und uns etwas über das Leben dort erzählen.
Wunderbar, dachte ich, und bei der ersten günstigen Gelegenheit wählte ich die Handynummer des Österreichers. Sein Handy klingelte und klingelte.
Hallo.
Es war die unverwechselbare tiefe Stimme meines Freundes.
Er begrüßt seine Anrufer wie alle in Israel, dachte ich, er sagt wie alle Israelis nur noch Hallo. Aber er ist schon lange in Israel, er ist ein Israeli oder fast ein Israeli, also war ich nicht überrascht, so von ihm begrüßt zu werden. Warum sagt man überhaupt Hallo?, fragte ich mich und erinnerte mich an die Worte eines weisen Mannes, der alle Fragen, die mit dem Wort warum anfangen, skeptisch betrachtete. Warum denke ich ausgerechnet jetzt das, was ich denke? Warum?! Mein Kopf wurde schwer.
Hallo, wiederholte der Österreicher.
Ich bin es, sagte ich auf Deutsch.
Endlich kann ich mit jemandem Deutsch reden, sagte der Österreicher mit seinem sauberen wienerischen Akzent.
Ob wir zu ihm kommen könnten?
Natürlich.
Kibbuz Mischmar Haemek liegt neben dem biblischen Berg Megiddo, der auch als Armageddon bekannt ist, dort lebt der Österreicher, an diesem Ort, der für viele mit dem Ende der Welt verbunden wird, mit der Apokalypse, wie es in der sogenannten Neuen Heiligen Schrift geschrieben steht.
Dort wohnt der Österreicher, unbesorgt wohnt er in seinem Kibbuz, dort, wo ein letzter Kampf gegen die Macht der Bösen stattfinden soll, wie es vor langer Zeit vorausgesagt wurde, ein letzter Kampf, in dem dereinst ein letzter, endgültiger Sieg des Guten über das Böse errungen wird.
Nach diesem Kampf bei Megiddo wird alles gut sein, sagte ich Dagmar.
Meinst du das ironisch?, fragte sie mich.
Ich wusste es nicht.
Wir schwiegen. Ich stellte die Musik lauter. Wir hörten den Galej-Zahal-Sender.
Ich atmete tief ein und aus, was mich beruhigte, dann zeigte ich Dagmar den Berg Megiddo.
Dort, sagte ich bestimmt.
Wo? Dort?
Dort.
Obwohl Dagmar nicht religiös war, stand ihr ins Gesicht geschrieben, wie sehr sie das Panorama mit dem biblischen Berg faszinierte. Ihr Blick fixierte den Berg, es sah aus, als machte sie mit ihren Augen Fotos von dem Berg, ein Foto nach dem anderen, vielleicht drehte sie sogar einen Film in ihrem Kopf.
Dagmars Augen blinzelten.
Nur ein Hügel, ein hässlicher Hügel, es ist überhaupt kein Berg, nur ein Hügel, ein kleiner Berg, nichts Besonderes, hörte ich mich sagen.
Ein Berg, rief Dagmar mit Entschlossenheit in ihrer Stimme.
Wie bitte?
Ein Berg, erwiderte Dagmar, kein Hügel, sondern ein Berg, ein faszinierender Berg.
Schweigend spielte ich mit dem Radioknopf, als suchte ich einen anderen Sender. Reschet-Gimel spielte israelische Musik. Ich schaltete das Radio aus. Und atmete auf.
Kurz danach waren wir schon in dem Kibbuz.
Der Österreicher winkte und lachte.
Ein lachender Österreicher, was für eine Seltenheit, dachte ich und musterte den seit fünf Jahren nicht mehr gesehenen Freund.
Dagmar und ich stiegen aus dem Auto. Ich umarmte den Österreicher und machte ihn mit Dagmar bekannt. Sie reichten einander die Hände.
Der Österreicher stieg ins Auto, um uns den Weg zu seinem Haus zu zeigen. Wir parkten im Schatten. Genauer, an einem Platz, der auf den ersten Blick wie Schatten aussah. Aber auch an diesem nach Schatten aussehenden Parkplatz betrug die Temperatur ungefähr vierzig Grad. Vierzig Grad im Schatten! Vielleicht noch mehr. Dagmar
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