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Der Duft des Sussita

Der Duft des Sussita

Titel: Der Duft des Sussita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Scheer
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sterben würden. Wir witzelten, Kuti und ich, wie immer, ohne eine Ahnung, was als Nächstes kommt, ohne zu wissen, dass man im nächsten Moment sterben konnte, wie viele Menschen tatsächlich bald sterben würden, von einem Moment zum anderen aufhören würden zu existieren.
    Über die Jahrzehnte hatten mein Freund Kuti und ich einen eigenartigen Stil des Telefongesprächs entwickelt, das Reden war zwischen uns so leicht und so andachtsvoll tief wie das Schweigen, wortlos wortreiche Verschworene, wir hatten vor allem Spaß in unseren Gesprächen, er machte seine Scherze, ich machte meine Scherze. So verstanden wir einander.
    Kuti und ich, wir kannten uns seit einer Ewigkeit. Und wir telefonierten an diesem Tag, an dem ein Attentat am Dizengoff-Zentrum verübt wurde und mein Freund Kuti sich genau am Ort des Anschlags befand, im Dizengoff-Zentrum, während ein Bus wie von ungefähr in die Luft gesprengt wurde.
    Den Sprengstoff dicht am Körper, opferte ein Terrorist sein Leben für etwas Höheres. Als religiöser Jude verkleidet, stieg er ein, setzte sich als lebende Bombe in den Bus und wartete. Er wartete bis zum Dizengoff-Zentrum. Dann geschah es. Dann wurde alles schwarz und verwandelte sich in Asche. Zerstörung und Verwirrung, Angst und Verzweiflung. Rauch und Staub.
    Was denkt so ein Mensch, der in nur einigen wenigen Minuten explodieren wird? Kuti wusste es nicht. Ich wusste es auch nicht. Vielleicht denkt er über die ihm versprochenen zweiundsiebzig Jungfrauen im Paradies nach. So ein Gedanke ist ein positiver Gedanke. So ein Gedanke konnte möglicherweise sein Antrieb sein. Man opfert sich für seine Frauen. Eine Art romantische und zugleich verrückte Idee. Man hat vermutlich nichts mehr zu verlieren, wenn man bereit ist, sich selbst für eine Menge versprochener Jungfrauen zu opfern. Warum tut man so etwas? Warum will man sich selbst und andere töten? Woher kommt so viel Hass? Woher eine so hoffnungslose Verzweiflung?
    Nur noch wenige Minuten und man ist bei den verheißenen zweiundsiebzig Jungfrauen. Nur noch zwei Minuten und man ist zu Hause. Eine Minute. Dreißig Sekunden und ich komme. Zweiundsiebzig Jungfrauen. Meine Frauen. Meine Frauen im Paradies. Meine Frauen im himmlischen Jenseits. Hier komme ich. Dort wird es gut sein und schön. Bei meinen Frauen wird alles gut sein. Alles. Fünf, vier, drei … ich komme … zwei, eins …
    Einen Menschen ohne Arme und Füße sahen wir vor uns, Kuti und ich, einen Menschen, der nicht mehr wie ein Mensch aussah, nicht länger als Mensch erkennbar war, nur noch ein Schatten, ein Schatten seiner selbst, wie man sagt.
    Es gibt keinen Gott, sagte Kuti unvermittelt.
    Kuti hatte Glück. Er überlebte. Viele überlebten diesen Anschlag nicht. Viele starben im Dizengoff-Zentrum oder in der Nähe des Zentrums. Die Verletzten waren in Krankenhäuser transportiert worden. Einer nach dem anderen. Wie lebende Leichen. Blut und wenig Fleisch. Körper ohne Leben. Finsternis.
    In diesem Krankenhaus, in dem ich Onkel Sauberger besuchte, sah ich sie. Und ich sah Kuti. Er wirkte anders als die anderen. Es schien, als wäre ihm alles, was hier passierte, gleichgültig und egal. Kuti gehörte nicht hierher. Nur die Äußerlichkeiten verrieten seine Zugehörigkeit. Er war schmutzig und stank nach verbranntem Fleisch und Zerstörung. Der Geruch verriet ihn.
    Der Geruch des Todes war es. Jetzt weiß ich es. Ich kann diesen Geruch bis heute riechen. Den Geruch des Todes. Manchmal rieche ich ihn noch immer, diesen scharfen, bitteren Geruch, er ist für mich noch immer gegenwärtig. Der Geruch ist einfach da. Ich kann ihn nicht vergessen.
    Kuti hatte Glück. Er blieb unversehrt. Kuti hat sieben Leben, wie die Katzen.
    Lass uns gehen, bedeutete Kuti mir pantomimisch.
    Kuti begleitete mich zurück ins Zimmer. Onkel Sauberger und Metzger waren nicht da. Sie waren weg und hatten keine Spur hinterlassen. Nur den Geruch des Schinkens und der Wurstsorten gemischt mit der üblichen Krankenhausluft konnten wir dort wahrnehmen. Gleichzeitig sahen wir, Kuti und ich, nach Buzaglo, dem Marokkaner. Er atmete nicht mehr.

DER ÖSTERREICHER
    Bei uns hat jeder ein Recht auf Arbeit und somit auf Brot; dafür aber auch die Pflicht zur Arbeit. Den Bettel dulden wir nicht. Ein Gesunder, welcher Almosen nimmt, wird zu den schwersten Arbeiten gezwungen. Der mittellose Kranke braucht sich nur im Wohltätigkeitsamte zu melden. Keiner wird abgewiesen. Theodor Herzl, »Altneuland«
    Kurz bevor Dagmar

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