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Der Duft des Sussita

Der Duft des Sussita

Titel: Der Duft des Sussita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Scheer
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man ihn sterben lassen, das können wir nicht tun, aber wir können ihm eine Überraschung machen und ihm etwas Saftiges in den Mund legen.
    Etwas, das er seit Jahrzehnten nicht mehr geschmeckt hat, rief Onkel Sauberger schwärmerisch. Fleisch. Etwas, das er nie gegessen hat. Schweinefleisch. Meiner Meinung nach das beste Fleisch in der ganzen runden Welt, sagte Onkel Sauberger, man sollte nicht sterben, ohne es probiert zu haben.
    Was für ein Leben ist ein Leben ohne Schweinefleisch, rief Onkel Sauberger aus. So ein Leben kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. So ein Leben ist nichts wert. Noch nie im Leben Schweinefleisch im Mund gehabt zu haben und kauen und schlucken und genießen zu können. Was für ein Leben ist so ein Leben? So ein Leben ist kein Leben. Lieber Herr Metzger, geben Sie mir Ihren besten Stoff für diesen Mann. Bitte nur das Beste, sagte Onkel Sauberger.
    Ich musste dringend auf die Toilette. Als ich aus dem Zimmer heraustrat, blendete mich wieder die gleißend strahlende Sonne. Ich schloss die Augen und bedeckte sie kurz mit den Händen. Mit geschlossenen Augen hörte ich Geräusche, die wie die Wellen des Meeres immer stärker wurden. Ich hörte Gelächter, starkes Gelächter.
    Ich öffnete die Augen und sah Menschen schnell laufen, rennen. Überall nur Tumult und Panik. Kein Gelächter, wie ich mit geschlossenen Augen geglaubt hatte, sondern Weinen und Hilflosigkeit.
    Weinen von Kindern konnte man klar erkennen, und das panische Schreien erwachsener Menschen klang schrill in meinen Ohren. Wie in einem Alptraum wurde ich Zeuge dieses Geschehens. Was ich da hörte, erinnerte mich an Geräusche, die Tiere vor dem Schlachten von sich geben.
    Die dichtgedrängte Menge, Männer, Kinder und Frauen, die vor mir liefen und die alle eines gemeinsam hatten, nämlich dass sie schmutzig waren, alle waren schmutzig und verletzt, sie kamen massenhaft, strömten buchstäblich herein durch die Eingangstür des Krankenhauses. Es schien, als gebe es unendlich viele dieser schmutzigen und verletzten, weinenden und panisch verängstigten Menschen. Sie standen unter Schock.
    Die Schwerverletzten wurden von Krankenschwestern und Ärzten versorgt. Alle schienen sich in einer hysterischen Trance zu befinden. Die Menschen, die Erwachsenen und Kinder. Die Ärzte und Krankenschwestern auch. Das ganze Geschehnis, das vor meinen Augen stattfand, war traumhaft, surreal. Aber es war da, es war wahr. Kein Traum, sondern Wirklichkeit. Angst. Wirkliche Angst.
    Als die schmutzige und blutbefleckte, nach Verbranntem, nach Schweiß und nach Tod stinkende menschliche Masse schreiend, mit leeren Blicken und weißen Gesichtern an mir vorbeilief und weiterlief, ins Unbestimmte lief, sah ich eine bekannte Gestalt.
    Kuti?
    Kuti kannte ich, seit ich zwölf oder dreizehn Jahre alt war. Ein guter Freund, mit dem ich viel zusammen erlebt hatte. Erst vor kurzem, Augenblicke bevor ich Onkel Sauberger besuchte, hatte ich mit ihm telefoniert. Wie immer hatten wir auch diesmal Witze gerissen. In unseren Gesprächen konnte man meist Ironie und Sarkasmus feststellen. Und Skepsis. Eine Menge Skepsis, was ja eine adäquate Haltung der Wirklichkeit gegenüber darstellt, sagte mir Kuti einmal philosophierend. Oder sagte ich es?
    Alles sei sinnlos, sagte Kuti bei einer anderen Gelegenheit, vollkommen sinnlos sei alles, man sucht und findet nichts, absolut nichts, nur Sinnlosigkeit findet man, nichts sonst.
    Was macht mein Freund Kuti in dieser Menge, fragte ich mich. Kuti ist ein Einzelgänger, er ist kein Massenmensch, sagte ich mir. Was macht er da? Kuti?! Ist es überhaupt Kuti? Oder ist es jemand, der ihm ähnlich sieht? Kuti, rief ich. Kuti.
    Es war Kuti. Er war nicht verletzt, nur schmutzig. Und er stank. Er stank nach Verbranntem, nach Rauch. Ein scharfer, unangenehmer Geruch. Was ist passiert?
    Ein Attentat, sagte Kuti. Ein Bus ist vor dem Dizengoff-Zentrum explodiert. Schlagartig erinnerte ich mich, dass er mir vorher, als wir telefonierten, gesagt hatte, er sei im Dizengoff-Zentrum, nun erinnerte ich mich, dass ich gefragt hatte, wie man immer fragt, Kuti, wo bist du, und er sagte, er sei im Dizengoff-Zentrum, dann witzelten wir weiter wie üblich, ich witzelte vor dem Krankenhaus, Kuti witzelte mit mir vorm Dizengoff-Zentrum, ohne zu wissen, dass genau dort Terroristen ein Attentat geplant hatten, für diesen Tag geplant, ohne zu wissen, dass Menschen, die vor nur wenigen Momenten noch gelacht haben mochten, die einkaufen wollten,

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