Der Duft des Sussita
Fröhlichkeit und wilden Feier. Party-Town-Tel-Aviv. Sodom ohne Gomorrha.
Hier ist keine Diaspora, sondern Zion. Der Heilige Berg und kein Kinderspiel. Nichts für Schwächlinge. Gott bewahre! Hier wird intensiv gelebt. Hier wird die wirkliche Geschichte Sodoms geschrieben, Sodom des einundzwanzigsten Jahrhunderts im Land Kanaan.
Tel Aviv ist das neue Sodom. Das ultimative Sodom.
Mit Schweiß und Blut wurde es aufgebaut. Jeden Tag von neuem. Zerstört und wieder gebaut. Kompromisslos.
Hier feiert jeder für sein Leben gern. Schamlos. Hier gibt es keinen Tag danach oder davor. Keine Zukunft oder Vergangenheit. Nur das Jetzt. Nur das Hier. Die Party bedeutet das Leben. Nicht mehr und auch nicht weniger. Das Leben. Hier gibt es kein Zurück mehr. Hier ist Zion. Hier ist Sodom. Und hier sind alle willkommen, fast alle.
Es ist schwer zu sagen, wie das Leben in Sodom war, aber in Tel Aviv, wie man weiß, geht es erst um zwei Uhr nachts wirklich los. Bis man zur richtigen Party kann, muss man sich die Zeit vertreiben. Man geht in mehrere Bars, nippt langsam an Bier und Drinks. Und wartet auf zwei Uhr früh. Bis dahin ist die Stadt so gut wie tot. Ruhe vor dem Sturm. Aber dann geht es wirklich los.
Der zweifellos beste Club in Tel Aviv ist – diese Information wurde von endlosen Zeitungen und Magazinen und Radios und Fernsehen und Internet bestätigt – der am Rothschild Boulevard liegende Breakfast Club .
Auf den ersten Blick scheint der Breakfast Club ein Club wie viele andere zu sein. Der Club liegt ziemlich versteckt und will keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Die Party-Menschen, ja, die sogenannten Kenner des Nachtlebens wissen aber Bescheid, sie brauchen keine leuchtenden Schilder, die ihnen den Weg zu diesem Ort, dem Mekka, Rom und Jerusalem des Spaßhabens, weisen, sie wissen genau, wo er ist und wer dort das Sagen hat.
Der Besitzer dieses nicht nur in Israel oder dem Nahen Osten, sondern auch weltweit einzigartigen Clubs ist kein anderer als mein Freund, einer meiner guten alten Freunde, vielleicht sogar mein bester Freund, Kuti, geboren mit dem Namen Yaniv, aber alle nennen ihn Kuti. Ich kenne ihn seit meinem zwölften Lebensjahr. Seitdem sind wir auch gewissermaßen unzertrennlich.
Kuti und ich haben nicht nur gemeinsam die schweren Jahre der Pubertät und des Militärs durchgemacht, diese Jahre der höchsten Verzweiflung, vor allem waren wir auf der Suche, damals natürlich noch unbewusst, nach Selbstbestimmung und Identität.
Wir liebten Musik. Wir identifizierten uns mit einer Musikrichtung, die gleichzeitig zart und kompromisslos, hart und brutal war. Wir waren ziemlich gute Kinder für unsere Eltern, mal mehr und mal weniger, was man als mehr oder weniger normal bezeichnen kann, was auch immer das heißt, in der Tat waren wir nicht besonders problematisch, aber innerlich fühlten wir uns wild und böse und bereit zur Eruption.
Wir waren jung, wir fühlten uns unverwundbar und unsterblich. Wir waren der Mittelpunkt unsrer kleinen Welt. Wir liebten diese Welt und hassten sie. Die Zukunft schien unendlich lang zu sein, und wir hatten Zeit für die Musik und Zeit zum Träumen.
Die Musik, die brutale und starke Musik, mit heulenden Gitarren und kreischenden Sängern, beruhigte uns. Die Musik gab unserem sinnlosen Leben Sinn. Und wir glaubten wirklich daran.
Diese aggressive Musik, Hardrock und Heavy Metal der Achtzigerjahre des zwanzigsten Jahrhunderts, wirkte auf uns meditativ. Sie war unsere Religion und wir lebten nach ihren Regeln. Sie machte uns stark, und in ihr fühlten wir uns verbunden miteinander, gegen alle anderen, gegen die ganze Welt. Die Musik machte uns zugleich schwach, aber wir sahen damals nur die Stärke, und alles andere interessierte uns nicht. Wir waren ja Rebellen. Wir machten unseren eigenen Weg in dieser Welt, in die wir geworfen worden waren und die uns sinnlos erschien. Wir hatten einen Sinn für unser Leben gefunden. Und das war wunderbar. Naiv und wunderbar.
Kuti und ich und mein Bruder Gabriel waren die Ersten in Israel, die lange Haare trugen, ganz gewiss waren wir die Ersten, wir ließen unsere Haare wachsen, um so zu sein wie unsere langhaarigen Helden aus England und Amerika, und es gefiel uns, es gefiel uns sehr, dass wir auf einmal anders aussahen, anders als alle anderen, wir fühlten uns anders, wir waren auch anders als zuvor, wir hatten jetzt lange Haare, wir schauten in den Spiegel, und was wir sahen, war wundervoll. Wir waren jung und schön und anders,
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