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Der Duft des Sussita

Der Duft des Sussita

Titel: Der Duft des Sussita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Scheer
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mit diesem Akt des Haarewachsenlassens hatten wir es erreicht. Wir hatten uns von der Menge verabschiedet, getrennt, den anderen Weg gewählt, nicht den Weg der Massen und Mengen, den anderen Weg. Lange Haare trugen damals nur wir, Kuti, ich und mein Bruder Gabriel.
    Natürlich waren wir stolz auf diese Tatsache, wir waren jung und wild, und um ehrlich zu sein, wir sind es noch bis zum heutigen Tag. Wir alle haben weniger Haare, viel weniger Haare als damals, aber so sind die Gene der Männer, mit der Zeit verliert man die Haare, allerdings soll man dadurch klüger werden, wobei ich diese Behauptung, dass man mit abnehmender Haardichte an Klugheit gewinnt, misstrauisch betrachte. Und je mehr ich darüber nachdenke, desto idiotischer finde ich sie.
    Gewiss jedenfalls ist die Tatsache, dass lange Haare in der israelischen Gesellschaft mehr und mehr in Mode kamen, dass mehr und mehr junge und alte Menschen lange Haare trugen, nachdem wir, Kuti, mein Bruder Gabriel und ich, schon einige Zeit lange Haare hatten. Vielleicht waren wir eine Inspiration für andere. Realistisch betrachtet, war diese Entwicklung aber dem Erfolg solcher Rockbands wie Guns N’ Roses und Metallica zuzuschreiben. Wir waren einerseits froh, so viele Leute mit unserer Frisur zu sehen, andererseits waren wir enttäuscht und wussten, dass all diese nur einer Mode folgten. Wir waren echt, Kuti, mein Bruder Gabriel und ich, die anderen waren unecht. Rückblickend hatten wir vollkommen recht. Wir hatten schon vor 1989 lange Haare, sogar vor 1988. Wir liebten Hardrock vor seinem Durchbruch. Seit 1986, wenn nicht noch früher, waren wir echte Fans dieser Musik, Fans, wie sie sich jede Band wünscht. So waren wir. Wir waren treu, unverbrüchlich treu. Es war für uns also nicht einfach, Tausende über Tausende von sogenannten Fans zu sehen, die, wie wir wussten, keine echten Fans waren. Für sie war diese Wende im Jahre 1989 und 1990 nur mit Mode verbunden. Und wie vorauszusehen war, verschwanden diese Leute dann wieder und wurden Grungemusik-Fans. Und wie jeder heute weiß, war die Grungemusik und ihre Ära Anfang der Neunziger das Ende des Heavy Rock, und seitdem ist er nicht mehr richtig auf die Beine gekommen. Dies zeigt, wie unecht diese Leute waren. Und auch, wie echt wir waren. Wir alle lieben bis zum heutigen Tag Rockmusik.
    Wir waren die Ersten, mein Bruder Gabriel und Kuti und ich, die noch im Jahre 1988 die erste Kassette überhaupt, die in Israel von Appetite for Destruction erhältlich war, kauften. Wir kauften ausnahmslos Kassetten, weil weder mein Bruder noch ich noch Kuti einen Plattenspieler hatten. Wir hatten nur einen Kassettenrecorder.
    Einmal fuhren wir, wie so oft, mit dem Bus von Petach Tikva, wo wir damals wohnten, nach Tel Aviv. Wir fuhren die ganze Strecke von Petach Tikva durch Bnei Brak und Ramat Gan und kamen endlich in Tel Aviv an. Von Tahana Merkazit aus, dem alten Busbahnhof, nahmen wir einen weiteren Bus, der uns zur Dizengoff-Straße brachte.
    Dort konnten wir die neuesten Kassetten kaufen, die in Petach Tikva noch nicht zu finden waren. In Petach Tikva gab es auch einen Plattenladen. Manchmal hatte uns der dortige glatzköpfige Besitzer, Hakereach nannten wir ihn, völlig kahlköpfig und ohne Augenbrauen, eine völlig haarlose Person, illegal Platten auf Kassetten in einer miserablen Qualität überspielt.
    In Tel Aviv wirkten die Leute professionell, sie verkauften Originalkassetten und machten keine Kopien. Sie hatten auch eine große Auswahl, wovon wir immer überrascht, ja fast schockiert waren. Wir kauften diese Kassetten im Zustand höchster Erregung, dann hörten wir sie Tag und Nacht.
    Natürlich kauften mein Bruder Gabriel und ich niemals die gleichen Kassetten wie Kuti. Das wäre ja Verschwendung gewesen. Lieber kauften wir verschiedene Kassetten und kopierten sie voneinander. So haben wir das immer gemacht.
    Auch diesmal im Jahre 1988 war es so weit. Wir stiegen in den Bus und reisten nach Tel Aviv. Als wir uns dort die Neuheiten ansahen, legte der Besitzer des Ladens uns eine neue Kassette besonders ans Herz. Es sei ein Nummer-eins-Hit in Amerika, sagte er, aber sonst sei diese Gruppe unbekannt. Hier. Bei uns. Noch unbekannt.
    Es war eine Importkassette, was im Repertoire des Glatzköpfigen unvorstellbar war, so etwas konnte man nur in Tel Aviv kaufen. Die Qualität dieser ausländischen Kassetten war immer viel besser, und sie hatten auch ein besonders schönes Cover, sie waren durchsichtig und

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