Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate
zeugten von einem ausschweifenden Leben. Wir waren die einzigen zwei amerikanischen Passagiere an Bord. » Was haben die Männer gesagt? Was bedeutet › Levante‹?«
» Levante«, sagte er und knöpfte seinen Mantel zu. » Levante ist das spanische Wort für › Osten‹. Und › levantar‹ heißt › aufziehen‹. Es handelt sich um einen heftigen Wind aus dem Osten.«
Ich kannte den Scirocco und den Mistral, die Winde, die den Mittelmeerbewohnern häufig zusetzten. Doch vom Levante hatte ich noch nie gehört.
» Verdammter Mist«, sagte der Mann, um dann rasch hinzuzufügen: » Verzeihung, aber so ein Wind kann einen jede Menge Zeit kosten. Wenn es uns nicht gelingt, ihm vorauszueilen, könnte es sein, dass wir wieder kehrtmachen müssen.«
Trotz des Windes nahm ich sein Parfüm wahr, das zu blumig und schwer war. » Vorauseilen? Wird der Wind nicht einfach über uns hinwegwehen?«
» Schwer zu sagen. Hier, am westlichen Rand der Straße von Gibraltar, wird er seine größte Stärke erreichen.« Mit einem Mal hob sich sein Hut wie von unsichtbarer Hand gelüpft, und obwohl er rasch nach seiner Kopfbedeckung zu greifen versuchte, die sich in geringer Entfernung vor uns in der Luft drehte, stieg der Hut in die Lüfte empor und entschwand. » Verdammter Mist!«, rief er und legte den Kopf in den Nacken, um den tief hängenden schweren Himmel nach ihm abzusuchen, ehe er sich wieder mir zuwandte. » Bitte verzeihen Sie, Mrs …?«
» O’Shea. Miss O’Shea«, sagte ich. Mein Cape bauschte sich im Wind und wirbelte um mich herum wie bei einem sich drehenden Derwisch. Mit einer Hand presste ich den Stoff an die Brust, während ich mit der anderen meinen Hut festhielt. Auch wenn er mit mehreren Nadeln an meinem Haar befestigt war, spürte ich, wie der Wind an ihm zerrte, und hatte das beunruhigende Gefühl, er könnte sich jeden Moment von meinem Kopf lösen. Ich bekam kaum mehr Atem, teils wegen des Windes, teils weil mir die Angst die Luft abschnürte.
» Könnte … könnte das Schiff … womöglich kentern?« Das Wort » untergehen« brachte ich nicht über die Lippen.
» Ich muss mich abermals wegen meiner mangelnden Manieren entschuldigen, Miss O’Shea. Kentern?« Er blickte über meine Schulter hinweg zum Schiffsheck. » Es passiert nicht mehr allzu oft, dass ein Schiff in der Straße von Gibraltar untergeht. Nicht bei den leistungsstarken Motoren, mit denen diese Fähren heutzutage ausgestattet sind.«
Ich nickte, obwohl mich seine Worte nicht besonders beruhigten. Vor kurzem war ich mit dem Schiff von New York nach Marseille gereist und von dort aus weiter bis zur äußersten Südspitze Spaniens und hatte abgesehen von ein, zwei Tagen rauen Seegangs auf dem Atlantik keine schlimmen Erfahrungen gemacht. Ich hätte nicht gedacht, dass ausgerechnet dieser schmale Seeweg mit bösen Überraschungen aufwarten könnte.
» Dieses Klima ist so unvorhersehbar«, fuhr der Mann fort, » und manchmal kann es recht garstig sein. Der Levante dauert in der Regel drei Tage, und falls der Kapitän beschließen sollte, die Reise nicht fortzusetzen, werden wir gezwungen sein, zu einem dieser schrecklichen kleinen Häfen an der spanischen Küste zurückzukehren, um dort bis mindestens Samstag festzusitzen.«
Samstag. Es war Mittwoch. Ich hatte in Marseille schon viel zu lange warten müssen. Jeder Tag, der verging, verstärkte die Panik, die ich in mir verspürte, seit ich ihn, Etienne, zuletzt gesehen hatte.
Der Wind blies mir salzige Gischt ins Gesicht, und ich rieb mir mit den behandschuhten Fingern die Augen, teils um meinen getrübten Blick zu klären, aber auch um das Bild meines Verlobten vor meinem geistigen Auge zu vertreiben. Wo er jetzt wohl sein mochte?
Der Mann nahm den Faden wieder auf: » Sie sollten besser nach drinnen gehen. Dieser Sprühnebel … Nicht lange, und Sie werden von Gischt und Nebel durchtränkt sein. Sie wollen doch sicher nicht krank in Tanger ankommen. Nordafrika ist kein Ort, an dem man krank sein sollte.« Er musterte mich eingehender. » Nordafrika ist ein Ort, an dem man stets seine fünf Sinne beisammenhaben sollte.«
Seine Worte trugen nicht gerade zu meiner Beruhigung bei. Ich rief mir in Erinnerung, wie ich vor nicht einmal zehn Tagen von Fieber geschwächt in dem schmalen Bett in Marseille gelegen hatte. Mutterseelenallein.
Der Mann musterte mich noch immer. » Miss O’Shea? Begleitet Sie jemand auf Ihrer Reise?«
»Nein«, rief ich gegen den pfeifenden Wind an. »Nein,
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