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Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate

Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate

Titel: Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Holeman
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grauen Esel am Zügel, der einen Karren zog. Er sprach mich an, doch ich bedeutete ihm mit einem Kopfschütteln, dass ich ihn nicht verstand. Dann fragte er mich auf Französisch, wohin ich wolle.
    » Ins Hotel Continental, s’il vous plaît«, erwiderte ich, denn ein anderes Hotel hätte ich ihm ohnehin nicht nennen können.
    Er nickte und streckte die Hand mit dem Handteller nach oben aus und nannte mir auf Französisch einen Preis in Sous.
    Ich rief mir die Worte des korpulenten Amerikaners ins Gedächtnis: Nordafrika ist ein Ort, an dem man stets seine fünf Sinne beisammenhaben sollte. Was, wenn dieser Mann, der so eifrig nickte, keinerlei Absicht hatte, mich ins Hotel zu fahren? Was, wenn er mich an einen verborgenen Ort brachte und mich dort zurückließ, nachdem er mich meines Geldes und Gepäcks beraubt hatte?
    Wenn er nicht noch Schlimmeres im Schilde führte.
    Die Tragweite meines Tuns – allein hierherzureisen, ohne irgendeine Anlaufstelle zu haben, jemanden, der mir in der Not hätte helfen können – fiel mir wie Schuppen von den Augen.
    Ich sah den Mann an, dann die anderen Männer, von denen es hier wimmelte. Einige starrten mich unverhohlen an, während andere mit gesenktem Kopf vorbeieilten, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Hatte ich eine andere Wahl?
    Ich befeuchtete die Lippen und sagte, ich würde die Hälfte des Preises zahlen, den er genannt hatte. Er runzelte die Stirn, schlug sich gegen die Brust und schüttelte heftig den Kopf, während er sich erneut seiner mir fremden Sprache bediente. Schließlich nannte er auf Französisch einen anderen Preis, einen, der in der Mitte zwischen seinem ersten Angebot und meinem lag. Er wich meinem Blick aus, und ich fragte mich, ob aus Scheu oder aus Verschlagenheit. Wieder überlegte ich, ob ich mein Schicksal in seine Hände legen konnte, und haderte abermals mit mir. Schon jetzt war ich von der Hitze benommen und wusste, dass ich mein Gepäck höchstens ein paar Meter würde tragen können, bevor ich es wieder absetzen müsste. Ich öffnete meine Handtasche und nahm ein paar Münzen heraus. Als ich sie in die Hand des Mannes legte, bemerkte ich erschrocken einen Trauerrand unter meinen Fingernägeln.
    Es war, als ob dieser schwarze Kontinent bereits ein Teil von mir geworden wäre, obwohl ich erst wenige Schritte auf ihm getan hatte.
    Mit erstaunlicher Leichtigkeit hob der Mann meine beiden Gepäckstücke auf den offenen Eselskarren. Er deutete auf den Platz neben sich, und ich stieg hinauf. Nachdem er die Zügel leicht auf den Rücken des Esels hatte schnalzen lassen, atmete ich erneut tief ein.
    » Hotel Continental«, sagte der Mann wie zur Bekräftigung meines Fahrtziels.
    » Oui. Merci«, antwortete ich und betrachtete verstohlen sein Profil, ehe ich den Blick geradeaus richtete.
    Hier war ich also in Nordafrika. Unzählige Meilen lagen noch vor mir, aber immerhin hatte ich es schon mal bis hierher geschafft – dem Ausgangspunkt meiner langen Reise auf dem unbekannten Kontinent.
    Alles in Tanger war fremd für mich – die Architektur, die Gesichter, Sprache und Kleidung der Menschen, die Bäume, Gerüche, ja sogar die Luft. Nichts erinnerte mich an zu Hause – mein ruhiges Heim in Albany im nördlichen Teil des Bundesstaates New York.
    Und als ich zurückblickte, in Richtung der Fähre, wurde mir bewusst, dass mir in Amerika nichts mehr geblieben war, nichts und niemand.

ZWEI
    M ein Geburtstag war am 1. Januar 1900, dem ersten Tag des neuen Jahrhunderts, und meine Mutter nannte mich Sidonie, nach ihrer Großmutter in Quebec. Wenn es nach meinem Vater gegangen wäre, hätte ich Siobhan geheißen, in Gedenken an seine Mutter, die seit langem schon in irischer Erde ruhte, aber er hatte dem Wunsch meiner Mutter nachgegeben. Abgesehen von der Religion, die sie teilten, waren sie ein ungleiches Paar, mein schlaksiger irischer Vater und meine französisch-kanadische Mutter. Erst spät in ihrem Leben kam ich auf die Welt, nachdem sie achtzehn Jahre verheiratet waren – meine Mutter achtunddreißig und mein Vater vierzig Jahre alt. Längst hatten sie die Hoffnung auf ein Kind aufgegeben. Jeden Tag hörte ich meine Mutter Dankgebete sprechen, in denen sie mich ein Wunder nannte.
    Wenn wir beide unter uns waren, sprachen wir Französisch; sobald mein Vater das Zimmer betrat, wechselten wir zu Englisch. Ich liebte es, Französisch zu reden. Als Kind konnte ich nicht erklären, was den Unterschied zwischen dieser Sprache und Englisch ausmachte, doch

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