Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate
ich reise allein.« Allein. Hatte ich das Wort lauter ausgesprochen als beabsichtigt? »Kennen Sie Tanger?« Mir wurde bewusst, welch groteskes Bild wir für die Spanier abgeben mussten, wie wir da an Deck standen und uns gegen den Wind anschreiend unterhielten. Halbwegs von dem überhängenden Schiffsaufbau geschützt, war es ihnen gelungen, ihre Zigaretten anzuzünden, und nun betrachteten sie rauchend und mit zusammengekniffenen Augen den Himmel. Offensichtlich war der Levante keine neue Erfahrung für sie.
»Ja«, schrie der Mann, »ja, ich war schon einige Male dort. Kommen Sie, lassen Sie uns hineingehen!« Er legte mir eine Hand an den Rücken und schob mich sanft zur Tür. Als wir den schmalen Gang betraten, der zum Aufenthaltsraum führte, fiel die Tür krachend hinter uns ins Schloss, und mit einem Mal spürte ich eine große Erleichterung, dem Wind entronnen zu sein. Ich strich mir ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht, die mir an den Wangen klebten, und rückte mein Cape zurecht.
» Können Sie mir ein Hotel in Tanger empfehlen? Nur für ein, zwei Nächte; ich muss nämlich weiter nach Marrakesch. Ich bin mir nicht sicher, welche Route die beste ist … Ich habe einige Reiseberichte gelesen über die Strecke Tanger – Marrakesch, aber in jedem stand etwas anderes, sodass ich jetzt genauso schlau bin wie zuvor.«
Er musterte mein Gesicht. » Ich würde Ihnen raten, im Hotel Continental in Tanger abzusteigen, Miss O’Shea«, sagte er gedehnt. » Es ist zurzeit das schickste, und man trifft dort immer einige Amerikaner und Briten. Auch die wohlhabenden Europäer quartieren sich dort ein. Es befindet sich innerhalb der alten Stadtmauer und ist ein sicherer Hafen.«
» Ein sicherer Hafen?«, wiederholte ich.
» Sie sollten sich in Tanger ein wenig vorsehen. Sie wissen schon: diese engen, gewundenen Straßen und Gassen. Dort verliert man schnell die Orientierung. Und die Menschen …« Er unterbrach sich, ehe er fortfuhr: » Doch im Continental herrscht die koloniale Atmosphäre vergangener Zeiten. Ja, ich kann Ihnen dieses Hotel nur empfehlen. Oh …«, sagte er, als wäre ihm gerade etwas Wichtiges eingefallen, » und es gibt dort keine Franzosen. Die übernachten entweder bei Verwandten oder sie logieren im Cap de Cherbourg oder dem Val Fleuri.«
Ohne meine Antwort abzuwarten, sprach er weiter. » Abends herrscht in der Lounge des Continental reger Betrieb. Cocktails und Barmusik, Sie wissen schon, wenn man diese Dinge mag«, sagte er und sah mich aufmerksam an. » Für mich ist das nichts, aber für eine Dame wie Sie, könnte ich mir denken, ist es das Richtige.«
Ich nickte.
» Aber Sie sagten, Sie wollen nach Marrakesch weiterreisen?«, fragte er. » Quer durch das Land also?«
Wieder nickte ich.
Er hob die Augenbrauen. » Aber doch gewiss nicht allein. Treffen Sie Freunde in Marrakesch?«
» Ich hatte eigentlich vor, mit dem Zug zu fahren«, sagte ich ausweichend, beeilte mich angesichts seines fragenden Ausdrucks jedoch hinzuzufügen: » Es gibt doch eine Zugverbindung nach Marrakesch, nicht wahr? Ich habe gelesen …«
» Ich sehe schon, Sie kennen Nordafrika nicht, Miss O’Shea.«
Das stimmte, ich kannte Nordafrika nicht.
Ebenso wie ich Etienne kaum kannte, wie mir in diesem Moment wieder allzu klar wurde.
Da ich schwieg, ergriff der Fremde wieder das Wort. » Es ist keine Reise für Zartbesaitete. Und gewiss keine Reise, die ich einer jungen Dame ohne Begleitung ans Herz legen würde. Überhaupt, eine Ausländerin in Nordafrika …« Er hielt inne. » Ich würde Ihnen unbedingt davon abraten. Bis nach Marrakesch ist es ein weiter Weg. Und es ist ein verfluchtes Land, man weiß nie, was einen erwartet. In jeder Beziehung.«
Ich schluckte. Mit einem Mal war mir zu heiß, und das schummrige Licht in dem Korridor tauchte alles in ein blendendes, nebliges Weiß, während das Tosen des Windes und das monotone Stampfen der Motoren abebbten.
Ich hoffte, nicht in Ohnmacht zu fallen. Nicht hier.
» Sie fühlen sich nicht wohl«, sagte der Mann, und seine Stimme klang in meinen Ohren wie durch Watte gedämpft. Mir war schwindelig. » Kommen Sie und setzen Sie sich.«
Ich spürte seine Hand an meinem Ellbogen, die mich weiterdrängte, und wie sich meine Füße ohne mein Zutun bewegten. Mit meinem wehen Bein hatte ich schon bei ruhiger See meine Mühe, mich an Deck fortzubewegen, umso schwieriger war es unter diesen Umständen. Ich stützte mich mit der Hand an der Wand ab, und als ich ins
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