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Der Duft von Tee

Der Duft von Tee

Titel: Der Duft von Tee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Tunnicliffe
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bringt oder zum hundertsten Mal um ein Kätzchen bettelt. Und plötzlich, klatsch, bist du wie ein Licht ausgegangen. Du hast ganz schön laut geschnarcht, mein Liebling. Schnarchst du immer noch? Ich schätze, um das rauszufinden, brauchst du wohl einen Mann im Bett. Ha! Da haben wir’s doch schon wieder.
    Ich wette, du hast einen Freund. Du hast nie gewusst, wie schön du bist. Aber den Männern fällt so was auf, Liebling.
    Nun, vielleicht komme ich dich besuchen und überzeuge mich selbst. Dann spiele ich mit dir und den Kängurus. Ich weiß, dass ich ein paar gemeine Dinge zu dir gesagt habe, bevor du gegangen bist, Gracie, aber du vergibst doch deiner alten Mutter, nicht? Du weißt doch, wie ich manchmal bin. Ein bisschen aufgedreht. Ich war hier bei einem Arzt, und er hat gesagt, dass das ab und zu vorkommen kann. Er hilft mir, es zu verstehen. Dann habe ich nicht mehr ein so schlechtes Gewissen, weil ich so ein verrücktes Geschöpf bin. Aber das erzähle ich dir alles, wenn wir uns sehen. Ich werde gesund, und dann besuche ich dich, und wir bringen alles wieder in Ordnung, nicht wahr, Gracie? Ich habe es nicht so gemeint, das, was ich gesagt habe.
    Ich kann es nicht abwarten, dich zu sehen. Ich fühle mich leer ohne dich. Ich möchte alles über deine Reisen hören. Wen du kennengelernt und was du gegessen hast. Habe ich dir jemals gezeigt, wie man eine Pavlova macht? Das ist eine australische Baisertorte. Sie würde dir schmecken. Ich weiß doch, wie gerne du Süßes isst. Genau wie deine Mama. Ich zeig dir, wie man sie richtig macht. Hoch und luftig und mit viel Zucker.
    Bis bald, meine Kleine,
    viele Küsse von
    deiner Mama
    Ich stecke den Brief zurück in den Umschlag. Ich fühle mich immer noch schuldig, weil ich Mamas Brief nicht beantworten konnte. Ihren letzten Brief.
    Als es klar war, dass ich keine Kinder bekommen kann und nicht mehr aufhören konnte, von ihr zu träumen, an sie zu denken, habe ich begonnen, Briefe an sie zu schreiben. Mir gewünscht, dass sie sie irgendwie lesen und vielleicht vom Himmel herunterrufen, mir in meinen Träumen Antworten zuflüstern würde. Ich habe mir sie so sehr an meine Seite gewünscht, dass es wehtat. Als ob diese Briefe all jene Briefe wiedergutmachen könnten, die ich nicht geschrieben habe, als sie mich gebraucht hat und ich keine Ahnung davon hatte. Sie sind so etwas wie eine Beichte, eine Möglichkeit für uns beide, uns mit der Vergangenheit auszusöhnen. Eine private, einseitige Konversation, von der selbst Pete nichts weiß. Wie von so vielen Dingen, die ich ihm so lange vorenthalten habe. Gefühle, Erinnerungen, Schuldgefühle, Ängste. Jahre ungesagter Dinge.
    Unter Mamas Brief liegen all jene, die ich ihr geschrieben habe. Ich habe sie mit einer violetten Schleife zusammengebunden, über die meine Finger jetzt langsam streichen. Die Seide ist kühl auf meiner warmen Haut. Violett war Mamas Lieblingsfarbe. Der Umschlag gleitet unter das Band zu den anderen Briefen.
    Ich denke daran, wie sie gebacken hat, die Wangen rot von der Hitze des Ofens. Ich denke daran, wie sie in den Kensington Gardens getanzt hat, nicht warm genug angezogen, um sich nicht zu erkälten. An ihre langen Beine. Ich erinnere mich, wie sie mich aus dem Bett geholt hat, um mit mir die Sterne zu beobachten. Wie sie mir ihre Geschichten erzählt hat. Da war jeder Stern ein verbannter Prinz oder eine Ballerina, ein in den dunklen Himmel aufgestiegener Wunsch, das Funkeln der Zigarette des Himmelsvaters. Ich sehe sie vor mir, voller Leidenschaft, mit lockigem Haar und viel zu hell leuchtenden Augen. Ich sehe sie in einer Buchhandlung, höre sie im Kino zu laut lachen, spüre, wie sie mich vor dem Schultor zu fest umarmt. Ich denke an meine Hand in ihrer. Ich erinnere mich an Paris, wo sie mir ein Macaron in einer Schachtel gegeben hat, als würde seine Süße alle Sorgen einfach verschwinden lassen. Ich lasse den Tränen freien Lauf; weine, weine, weine. Ich verliere mich in meinen Erinnerungen und betrachte die Lichter der Kasinos, die vor den nächtlichen Wolken glitzern.
    Als das Sonnenlicht durch das Schlafzimmerfenster kriecht und den Staub zum Glitzern bringt, der in der warmen Morgenluft tanzt, sitze ich mit der Schachtel in meiner Hand auf der Bettkante. Ein neues Jahr ist angebrochen, und das alte sollte beerdigt werden. Ich möchte von vorn anfangen. Ich möchte wieder lieben. Dass wir uns auseinandergelebt haben, ist nicht allein Petes Schuld; daran haben wir beide unseren

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