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Der Duft von Tee

Der Duft von Tee

Titel: Der Duft von Tee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Tunnicliffe
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meinen neuen Namen, Miller, und klemmte den Hörer ans Ohr, während ich die Hand nach dem Toaster ausstreckte.
    »Ja.«
    »Oh, Sie sind es! Habe ich mir doch gedacht, dass ich da einen englischen Akzent höre. Mann, Sie sind vielleicht schwer zu finden.«
    Ein nordenglischer Akzent. Ich legte den warmen Toast auf den Teller.
    »Entschuldigung, wer spricht denn da?«
    »Es war wirklich nicht leicht, Sie ausfindig zu machen, das kann ich Ihnen sagen.«
    Offenbar war sie aus Manchester. Sie redete wie ein Wasserfall.
    »Hier ist Fran. Fran Adamson. Ich bin Krankenschwester im St. Bernards. Sie hat zwar behauptet , dass sie eine Tochter hat, aber ich war mir nicht sicher, und dann hat es so lange gedauert, Sie zu finden. Geburten, Todesfälle und Hochzeiten – dazu etwas herauszubekommen ist fast schon hoffnungslos. Hoffnungsloser als die Krankenhausverwaltung. Die schon hoffnungslos genug ist.«
    Eine Krankenschwester aus Manchester, die aus einem Londoner Krankenhaus anrief.
    »Bin ich mit Ihnen zur Schule gegangen, Fran?«
    »Oh, nein, das bezweifle ich.« Sie lachte. »Ich bin ein paar Jährchen älter als Sie. Und ich weiß das, weil ich Ihre Geburtsurkunde hier in der Akte habe.«
    »Bitte?«
    »Als Sie geboren wurden, hab ich gerade meinen Abschluss gemacht.«
    »Bitte?«
    »Sie sind Lillians Tochter, nicht?«
    Das traf mich unvorbereitet. Ich schluckte. »Ja«, antwortete ich.
    »Ich habe Ihre Mutter gekannt. Ich war eine ihrer Krankenschwestern.«
    Mir fiel die Vergangenheitsform zunächst nicht auf. Meine Reaktion kam verspätet, wie in einem Kinofilm.
    »Mama ist krank?«, fragte ich.
    »Nun, so würd’ ich es nicht ausdrücken, aber gesund war sie nicht. Geistig, meine ich. Ich dachte, das wüssten Sie alles …«
    »Wüsste was? Sorry, aber was sollte ich wissen?«
    Sie fuhr fort: »Ich rufe an, weil Sie ihre nächste Verwandte sind. Ich muss Sie von ihrem … Ableben unterrichten.«
    Ich versuchte, das Telefon mit beiden Händen festzuhalten, als ich auf den Küchenboden glitt.
    »Sind Sie noch dran?«, fuhr Fran fort, unbekümmert, als würde sie jeden Tag solche Nachrichten überbringen. Mama war schon seit Längerem im St. Bernard’s gewesen. Seit ungefähr acht Monaten, meinte Fran, aber sie wüsste es nicht so genau, da sie ihre Einlieferungspapiere gerade nicht dahätte. Die Krankenhauspapiere wären »ein einziges Chaos«, und außerdem hatte sie noch nicht dort gearbeitet, als Mama aufgenommen worden war; sie hatte nur später davon gehört. Man hatte ihr erzählt, dass sie triefnass eingeliefert wurde, in einem Nachthemd und einer alten, dunklen Strumpfhose. Als die Polizei sie aufgriff, hatte es geregnet. Sie brachten sie direkt ins St. Bernard’s. Glück für sie, denn manchmal wurden sie auch im Gefängnis abgeliefert oder im schlimmsten Fall gar nicht aufgelesen. Sie. Über wen redete sie da?
    Ich vergaß fast, wo ich war, während ich Frans Stimme lauschte, die mir Fakten aus dem Leben meiner Mutter mitteilte, von denen ich nichts wusste. »Bipolare Störung« hieß das jetzt, sagte sie, während sie eine Liste von Medikamenten mit ellenlangen Namen durchging. Der Boden schien sich unter mir aufzutun. Fran sagte, dass Mama an ihren guten Tagen von mir gesprochen hatte. Dass sie eine Tochter hat, die in Australien lebt, aber dass sie eine Weile nichts mehr von ihr gehört hätte. Nachdem sie gestorben war, hatte Fran sich gefragt, ob es diese Tochter wirklich gab, und als sie nachforschte, fand sie meine Geburtsurkunde. Sie hat meine Zahnärztin ausfindig gemacht, die noch Unterlagen über mich hatte und außerdem mit mir zur Schule gegangen war. Dann hat sie sich nach mir umgehört. Ich hatte damals keinen besonders großen Freundeskreis, sodass es eine Weile gedauert hat, jemanden zu finden, der meine Telefonnummer hatte.
    Sie machte eine kurze Pause, die ich dazu nutzte, mich am Küchenschrank hochzuziehen. Dann fuhr Frans Stimme ernst fort.
    »Also, ich musste Sie anrufen und Ihnen das von Ihrer Mutter erzählen. Das verlangt die Vorschrift, verstehen Sie. Sie hat nicht viel besessen, aber wir haben ein paar Sachen von ihr hier. Ich weiß nicht, ob Sie die haben wollen.«
    Da wusste ich wieder, dass sie tot war. Wie Wellen, die ans Ufer spülen und sich wieder zurückziehen, schien ich mich daran zu erinnern und es wieder zu vergessen.
    »Es ist … gut, dass Sie angerufen haben.« Die Worte klangen hölzern.
    »Was für ein Drama, Sie zu finden«, wiederholte sie. »Früher sind die

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