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Der dunkle Fluss

Der dunkle Fluss

Titel: Der dunkle Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Hart
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Zwillingsbruder. In meiner Abwesenheit würde die Verantwortung für die Arbeiter auf ihn übergegangen sein. Ich trat an die große Treppe und rief seinen Namen. Ich hörte Schritte und eine gedämpfte Stimme. Dann erschienen bestrumpfte Füße oben an der Treppe, gefolgt von Jeans mit schmutzigem Saum und schließlich einem unglaublich muskulösen Oberkörper und einem Kopf mit hellen, dünnen, mit Gel stachlig aufgestellten Haaren. Jamies Gesicht war voller geworden; es hatte die jugendliche Eckigkeit verloren, aber die Augen waren unverändert, und Fältchen erschienen an den Augenwinkeln, als sie mich erblickten.
    »Verdammt, ich glaub's nicht«, sagte er. Seine Stimme war genauso kraftvoll wie sein Körper. »Mein Gott, Adam, wann bist du gekommen?« Er kam die Treppe herunter, blieb stehen und sah mich an. Er war eins neunzig groß und zwanzig Kilo schwerer als ich und bestand aus lauter Muskeln. Als ich ihn das letzte Mal sah, hatte er meine Statur gehabt.
    »Verdammt, Jamie. Wann bist du so gewaltig geworden?«
    Er krümmte die Arme und betrachtete mit sichtlichem Stolz seinen Bizeps. »Man braucht Artillerie, Baby. Du weißt ja, wie es ist. Aber sieh dich an. Du hast dich überhaupt nicht verändert.« Er deutete auf mein Gesicht. »Jemand hat dich vermöbelt, das sehe ich, doch davon abgesehen siehst du aus, als wärst du erst gestern hier rausmarschiert.«
    Ich befingerte die Nähte an meinem Schädel.
    »Ist das von hier?«, fragte er.
    »Zebulon Faith.«
    »Der alte Scheißkerl?«
    »Und zwei seiner Kumpel.«
    Er nickte und machte schmale Augen. »Da wäre ich gern dabei gewesen.«
    »Beim nächsten Mal«, versprach ich. »Hey, weiß Dad, dass du wieder da bist?«
    »Er hat es gehört. Wir haben noch nicht miteinander gesprochen.«
    »Irre.«
    Ich streckte die Hand aus. »Schön, dich zu sehen, Jamie.«
    Meine Hand verschwand in der seinen. »Ach, scheiß drauf«, sagte er und zog mich in eine bärenhafte Umarmung, die zu neunzig Prozent aus schmerzhaftem Rückenklopfen bestand.
    »Hey, willst du ein Bier?« Er deutete zur Küche.
    »Hast du Zeit dazu?«
    »Was hast du davon, der Boss zu sein, wenn du nicht im Schatten sitzen und mit deinem Bruder ein Bier trinken kannst? Ist doch so.«
    Ich überlegte, ob ich den Mund halten sollte, aber ich dachte immer noch an die Wanderarbeiter, die auf den sonnenverbrannten Feldern schwitzten. »Jemand sollte bei den Leuten sein.«
    »Ich bin da erst seit einer Stunde weg. Den Leuten geht's gut.«
    »Du bist für sie verantwortlich —«
    Jamie legte mir eine Hand auf die Schulter. »Adam, du weißt, ich freue mich, dich zu sehen, okay? Doch ich stehe schon lange nicht mehr in deinem Schatten. Du hast gute Arbeit geleistet, als du hier warst. Das bestreitet niemand. Aber jetzt führe ich den Tagesbetrieb. Es wäre ein Fehler wenn du plötzlich hier auftauchen und erwarten würdest, dass alle einen Kratzfuß vor dir machen. Mein Vorschlag: Du sagst mir nicht, wie ich den Laden zu führen habe.« Stählerne Finger quetschten meine Schulter und bohrten sich in die Prellungen. »Das wäre ein Problem für uns, Adam. Ich möchte nicht, dass wir ein Problem kriegen.«
    »Okay, Jamie. Ich hab's kapiert.«
    »Gut«, sagte er. »Dann ist alles in Ordnung.« Er wandte sich zur Küche, und ich folgte ihm. »Was für ein Bier möchtest du? Ich hab alle möglichen Sorten.«
    »Egal«, sagte ich. »Such eins aus.« Er öffnete die Kühlschranktür. »Wo sind denn alle?«, fragte ich.
    »Dad ist wegen irgendwas in Winston. Mom und Miriam waren in Colorado. Ich glaube, sie wollten gestern zurückfliegen und in Charlotte übernachten.« Er grinste und gab mir einen Rippenstoß. »Zwei Squaws auf Shopping-Tour. Wahrscheinlich kommen sie erst spät nach Hause.«
    »Colorado?«
    »Ja, für zwei Wochen. Mom wollte mit Miriam auf irgendeine Schlankheitsfarm da draußen. Kostet ein Vermögen, aber — hey, ich hab nichts zu sagen, weißt du.« Er drehte sich um und hatte zwei Bierflaschen in der Hand.
    »Miriam war nie zu dick«, sagte ich.
    Jamie zuckte die Achseln. »Dann eben eine Gesundheitsfarm. Schlammbäder, Seegraspackungen. Was weiß ich. Das hier ist ein belgisches, eine Art Lager, glaube ich. Und das ist ein englisches Stout. Welches willst du?«
    »Das Lager.«
    Er machte die Flasche auf und reichte sie mir. Dann nahm er einen Schluck aus seiner eigenen. »Veranda?«
    »Ja. Veranda.«
    Er ging vor mir durch die Tür, und als ich hinter ihm in die Hitze hinaustrat, lehnte er

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