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Der dunkle Fluss

Der dunkle Fluss

Titel: Der dunkle Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Hart
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»Wer sonst hat sich für mich interessiert? Nicht deine Stiefmutter. Nicht Miriam, und Jamie erst, als ich Titten kriegte. Nur zwei viel beschäftigte alte Männer, die keine Ahnung hatten, wie man ein Mädchen großzieht. Die ganze Welt war im Eimer, als du weg warst, und du hast mich damit alleingelassen. Mit allem. Mit einer Welt voller Scheiße. Du kannst deine Briefe behalten.«
    Ihre Worte brachten mich um. »Ich habe wegen Mordes vor Gericht gestanden. Mein eigener Vater hat mich rausgeworfen. Ich konnte nicht hierbleiben.«
    »Von mir aus.«
    »Grace —«
    »Reib mir den Rücken ein, Adam.«
    »Ich kann doch nicht —«
    »Tu's einfach.«
    Ich kniete mich neben ihr auf die Planken. Das Sonnenöl kam heiß aus der Flasche, hatte in der Sonne gekocht und roch nach Bananen. Grace lag vor mir ausgestreckt, ein harter, brauner Körper, zu dem ich keine Beziehung hatte. Ich zögerte, und sie langte auf den Rücken und öffnete ihr Bikini-Top. Die Träger fielen herunter, und einen Augenblick lang, bevor sie sich wieder hinabsinken ließ, hing eine ihrer Brüste in meinem Gesichtsfeld. Dann lag sie flach auf dem Holzsteg; ich kniete reglos neben ihr, völlig fassungslos über ihr Benehmen, über die Frau, die sie plötzlich war, und angesichts der Gewissheit, dass die Grace, die ich gekannt hatte, für immer verloren war.
    »Lass dir nicht den ganzen Tag Zeit«, sagte sie.
    Ich strich ihr das Sonnenöl auf den Rücken, aber ich tat es ungeschickt. Ich konnte ihre weichen Rundungen nicht ansehen, nicht die langen, leicht gespreizten Beine. Also schaute ich wie sie auf den Fluss hinaus, und wenn wir beide das Gleiche sahen, konnten wir es nicht wissen. Es gab keine Worte für diesen Augenblick.
    Ich war kaum fertig, als sie sagte: »Ich gehe schwimmen.« Sie schloss das Oberteil wieder und stand auf. Die glatte Fläche ihres Bauches war nur eine Handbreit von meinem Gesicht entfernt. »Nicht weggehen«, sagte sie, und dann wandte sie sich ab und tauchte in einer fließenden Bewegung ins Wasser. Ich stand auf dem Steg und sah, wie die Sonne auf ihren Armen blitzte, als sie mit kraftvollen Zügen gegen die Strömung anschwamm, fünf-zehn, zwanzig Meter weit hinaus. Dann wendete sie und kam zurück. Sie durchschnitt das Wasser, als gehörte sie dorthin, und ich dachte an den Tag, an dem sie hineingefallen war, und wie das Wasser sich aufgetan und sie verschluckt hatte.
    Der Fluss strömte an ihr herab, als sie die Leiter heraufstieg. Ihr Haar hing, schwer vom Wasser, nach hinten, und einen Moment lang sah ich etwas Wildes in ihren nackten Zügen. Aber dann setzte sie die Sonnenbrille wieder auf, und ich stand stumm da, während sie sich hinlegte, um sich von der Sonne trocken brennen zu lassen.
    »Soll ich auch nur fragen, wie lange du vorhast zu bleiben?«
    Ich setzte mich neben sie. »So lange wie nötig. Ein paar Tage.«
    »Hast du irgendwelche Pläne?«
    »Den einen oder anderen«, sagte ich. »Freunde wiedersehen. Meine Familie.«
    Sie lachte unnachsichtig. »Rechne nicht damit, dass viel dabei herumkommt. Ich habe mein eigenes Leben, weißt du. Das lasse ich nicht einfach stehen und liegen, nur weil du unangemeldet aufzukreuzen beliebst.« Und ohne aus dem Takt zu geraten, fuhr sie fort: »Rauchst du?« Sie schob die Hand unter den Kleiderhaufen neben ihr — abgeschnittene Jeans, ein rotes T-Shirt, Flip-Flops und zog einen kleine Plastikbeutel hervor. Sie nahm einen Joint und ein Feuerzeug heraus.
    »Nicht mehr seit dem College«, sagte ich.
    Sie zündete den Joint an und sog den Rauch in die Lunge. »Na, ich rauche«, sagte sie gepresst und hielt mir den Joint entgegen, aber ich schüttelte den Kopf. Sie nahm noch einen Zug, und der Rauch wehte über das Wasser hinaus.
    »Hast du eine Frau?«, fragte sie.
    »Nein.«
    »Eine Freundin?«
    »Nein.«
    »Was ist mit Robin Alexander?«
    »Schon lange nicht mehr.«
    Sie zog noch einmal an dem Joint, dann drückte sie ihn aus und schob den verkohlten Stummel in ihren Plastikbeutel. Die Konturen ihrer Worte wurden weicher.
    »Ich habe einen Freund. Mehrere.«
    »Das ist gut.«
    »Viele sogar. Ich gehe mit dem einen aus, und dann gehe ich mit dem anderen aus.« Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Sie setzte sich auf und sah mich an. »Ist dir das egal?«
    »Natürlich ist es mir nicht egal, aber es geht mich nichts an.«
    Plötzlich stand sie.
    »Es geht dich was an«, sagte sie. »Wenn nicht dich, wen dann?« Sie kam heran und blieb eine Handbreit vor mir stehen.

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