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Der dunkle Fluss

Der dunkle Fluss

Titel: Der dunkle Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Hart
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»Wie viel du verloren hast, als sie starb.«
    »Hör auf«, sagte ich. Wieder verstrich wortlos die Zeit, erfüllt von Erinnerungen an sie und daran, wie gut es uns dreien gegangen war. »In deinem innersten Herzen musst du mir einen Mord zugetraut haben«, sagte ich.
    Er rieb sich das Gesicht mit beiden Händen und drückte die schwieligen Handflächen an die Augen. Schmutz war unter seinen Fingernägeln und Ehrlichkeit in seinem Blick, als er antwortete. »Nach ihrem Tod warst du nie wieder wie früher. Vorher warst du ein so wunderbarer Junge. Mein Gott, du warst vollkommen die reine Freude. Aber nach ihrem Tod hast du dich verändert, du bist düster und misstrauisch geworden. Übellaunig, distanziert. Ich dachte, das legt sich mit der Zeit. Aber du fingst an, dich in der Schule zu prügeln. Mit Lehrern zu streiten. Du warst ständig wütend. Es war wie ein gottverdammtes Krebsgeschwür, das alles Liebenswerte an dir zerfraß.«
    Wieder legte er die Hände vor das Gesicht; harte Haut scharrte über die Furchen. »Ich dachte, du würdest es hinbekommen. Vermutlich bestand immer die Möglichkeit, dass es einen Knall geben würde. Ich dachte nur nicht, dass er so aussehen würde. Vielleicht würdest du mit dem Auto gegen einen Baum rasen oder in einer Schlägerei ernsthaft verletzt werden. Als dieser Junge umgebracht wurde, kam ich nicht auf den Gedanken, dass du es getan haben könntest. Aber Janice schwor, sie habe dich gesehen.« Er seufzte. »Da dachte ich, du könntest endgültig durchgedreht sein.«
    »Wegen meiner Mutter?« Er sah das Eis in meinen Augen nicht. Er nickte, und mein Herz fing an, wie wild zu klopfen. Ich war zu Unrecht angeklagt, wegen Mordes vor Gericht gestellt und vertrieben worden. Und er schrieb es dem Tod meiner Mutter zu. »Wenn ich so durcheinander war, warum hast du mir dann keine Hilfe verschafft?«
    »Du meinst, einen Psychiater?«
    »Ja. Von mir aus.«
    »Ein Mann braucht nur mit beiden Beinen auf der Erde zu stehen. Wir dachten, wir könnten dich da wieder hinbringen. Dolf und ich.«
    »Und für dich hat's ja auch geklappt, nicht wahr?«
    »Urteile nicht über mich, Junge.«
    »Wie es für Mom geklappt hat?« Seine Kiefermuskeln spannten sich, bevor er antwortete. »Jetzt solltest du deine verdammte Klappe halten. Du redest von Dingen, die weit über deinen Horizont hinausgehen.«
    »Leck mich am Arsch«, sagte ich und stieß die Wagentür auf. Ich ging die Straße hinunter und hörte, wie seine Tür zuschlug.
    »Du wirst jetzt nicht weggehen.«
    Ich fühlte seine Hand auf meiner Schulter, und ohne einen bewussten Gedanken fuhr ich herum und schlug ihm mit der Faust ins Gesicht. Er ging zu Boden, und ich blieb vor ihm stehen. Ich sah einen farbigen Blitz, die letzte Sekunde meiner Mutter auf Erden, und ich sprach den Gedanken aus, der mich in den letzten paar Jahren gequält hatte.
    »Das hättest du sein sollen«, sagte ich.
    Blut lief aus seiner Nase und am rechten Mundwinkel herunter. Er sah klein aus, wie er da im Dreck lag, und ich sah den Tag, an dem sie es getan hatte: wie die Waffe aus ihrer leblosen Hand fiel, und wie der Kaffee mir die Finger verbrühte, als die Tasse mir entglitt. Aber es hatte da einen Augenblick gegeben, ein jähes Aufblitzen in ihrem Gesicht, als die Tür aufging. Überraschung, dachte ich. Reue. Ich hatte immer gedacht, ich hätte es mir eingebildet.
    Jetzt nicht mehr.
    »Wir sind nach Hause gekommen«, sagte ich. »Wir sind aus dem Wald nach Hause gekommen, und du bist hinaufgegangen, um nach ihr zu sehen. Sie hat dich gebeten, ihr den Kaffee zu bringen.«
    »Was redest du da ?« Er verschmierte das Blut in seinem Gesicht, doch er versuchte nicht, aufzustehen. Er wollte es nicht hören, aber er wusste es.
    »Sie hatte die Waffe am Kopf, als ich die Tür öffnete. Sie wollte, dass du sie sterben siehst.«
    Mein Vater wurde bleich.
    »Nicht ich«, sagte er.
    Ich wandte mich ab.
    Und ich wusste, er würde mich gehen lassen.

ZWÖLF
    I ch ließ die Straße hinter mir und ging auf Wegen und Trampelpfaden, die ich noch kannte, zu Dolfs Haus. Niemand war da, und so sah auch niemand, wie ich in einer Ecke zusammensank und wie ich fast zerbrach. Niemand sah, wie mühsam ich mich zusammenriss, und niemand sah, wie ich meine Sachen in den Wagen warf. Aber Dolf hielt vor dem Haus, als ich losfahren wollte, und ich bremste aus Respekt vor seiner erhobenen Hand und wegen der stumpfen Bestürzung in seinem Gesicht, als er mir durch die offenen Wagenfenster ansah,

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