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Der dunkle Fluss

Der dunkle Fluss

Titel: Der dunkle Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Hart
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sammelten sich in den Haaren an der Seite seines Schädels. »Der Junge wurde auf dieser Farm ermordet, und Ihre eigene Mutter hat Sie beim Verlassen des Tatorts identifiziert.«
    »Stiefmutter«, korrigierte ich und erwiderte seinen starren Blick.
    »Sie wurden gesehen, als Sie mit seinem Blut beschmiert waren.«
    »Von einer Person gesehen.«
    »Von einer zuverlässigen Zeugin.«
    »Ach Gott«, sagte ich angewidert. Er lächelte. »Was wollen Sie hier, Rathburn?«
    »Niemand ist vergessen, wissen Sie. Auch ohne Verurteilung erinnern die Leute sich.«
    Ich versuchte ihn zu ignorieren.
    »Wir halten zusammen«, sagte er, als ich die Fliegentür öffnete und mich noch einmal umsah. Sein Zeigefinger war auf mich gerichtet, und die Armbanduhr funkelte an seinem teigigen Handgelenk. »Das ganze Leben in diesem County dreht sich nur darum.«
    »Sie meinen, Sie und Ihre Wahlhelfer halten zusammen. Stimmt's nicht?«
    Eine tiefe Röte kroch an seinem fetten Hals herauf. Rathburn war elitär und bigott. Wenn man reich und weiß war, konnte man sich keinen besseren Richter wünschen. Er war oft zu meinem Vater gekommen und hatte um Wahlkampfspenden gebeten, und immer war er mit leeren Händen abgezogen. Ich hatte keinen Zweifel daran, dass seine Anwesenheit jetzt etwas mit dem Geld zu tun hatte, das am Fluss entlang auf dem Spiel stand. Sicher hatte er auch da seine Finger im Spiel.
    Ich sah, wie er nach Worten suchte. Als ihm nichts einfiel, zwängte er sich in seinen Wagen. Er wendete auf dem Rasen meines Vaters und ließ dann eine Staubwolke über den Hang wehen. Ich wartete, bis er nicht mehr zu sehen war, dann ging ich ins Haus und ließ die Tür hinter mir zufallen.
    Im Wohnzimmer blieb ich stehen. Über mir knarrte eine Diele. Janice, dachte ich und ging dann weiter zum Arbeitszimmer meines Vaters. Die Tür stand offen, und aus alter Gewohnheit klopfte ich an den Türrahmen. Dann trat ich ein. Er stand mit dem Rücken zu mir an seinem Schreibtisch und stützte sich mit den Händen auf. Er hatte den Kopf auf die Brust gesenkt, und ich sah seinen gestreckten Nacken und die hellen Falten in der sonnenverbrannten Haut.
    Der Anblick wühlte Erinnerungen daran auf, wie ich als Kind unter diesem Schreibtisch gespielt hatte, Erinnerungen an Fröhlichkeit und Liebe im ganzen Haus.
    Ich spürte die Hand meiner Mutter, als wäre sie noch am Leben.
    Ich räusperte mich und sah, wie sich seine Fingerknöchel weiß vom dunklen Holz abhoben. Als er sich umdrehte, bemerkte ich erschrocken seine roten Augen, sein blasses Gesicht. Lange standen wir so da, und beide empfanden wir etwas wie eine Nacktheit, die wir noch nicht kannten.
    Einen Augenblick lang zerflossen seine Züge, aber dann festigten sie sich wieder, als habe er einen Entschluss gefasst. Er stieß sich vom Schreibtisch ab, kam über den verschlissenen Teppich auf mich zu und legte mir die Hände auf die Schultern. In einer ungestümen Umarmung zog er mich an sich. Er war drahtig und stark, roch nach Farm und nach so vielen Erinnerungen. In meinem Kopf drehte sich alles, und ich bemühte mich, den Zorn aufrechtzuerhalten, der mich trug. Ich erwiderte seine Umarmung nicht, und er trat zurück, nahm aber die Hände nicht von meinen Schultern. Sein Blick war wund von einem Verlust, den ich ebenso empfand. Er ließ mich los, als von der Tür ein Rascheln und eine verblüffte Stimme zu hören war.
    »Oh. Verzeihung.«
    Da stand Miriam. Sie konnte uns beiden nicht in die Augen sehen, und ich wusste, dass sie verlegen war. »Was gibt's, Miriam?«
    »Ich wusste nicht, dass Adam hier ist«, sagte sie. »Hat es Zeit?«, fragte mein Vater. »Mom fragt nach dir.« Mein Vater schnaubte spürbar frustriert. »Wo ist sie?«
    »Im Schlafzimmer.« Er sah mich an. »Geh nicht weg.« Nachdem er das Zimmer verlassen hatte, blieb Miriam in der Tür stehen. Nach der Verhandlung hatte ich sie nur noch einmal gesehen. So gut es ging, hatte ich meine Sachen in den Kofferraum meines Wagens geworfen, und der Abschied war sehr kurz gewesen. Aber ich erinnerte mich an ihre letzten Worte: Wo willst du hin?, hatte sie gefragt, und ich hatte ihr nur antworten können: Ich weiß es wirklich nicht.
    »Hallo, Miriam.«
    Sie hob die Hand. »Ich weiß nicht genau, was ich sagen soll.«
    »Dann sag nichts.«
    Sie senkte den Kopf, und ich sah ihren Scheitel. »Es war schwer«, sagte sie.
    »Ist schon okay.«
    »Wirklich?«
    Etwas Unergründliches huschte über ihr Gesicht. Während der Verhandlung hatte sie mich

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