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Der dunkle Fluss

Der dunkle Fluss

Titel: Der dunkle Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Hart
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Familie.«
    »Das weißt du doch.«
    »Von einer Generation zur anderen vererbt.«
    »Verdammt richtig.«
    »Warum hast du dann achtzig Hektar auf Dolf überschrieben? Wie wär's, wenn du mir das erklärst?«
    »Davon weißt du?«
    »Sie sagen, deswegen hat er Danny umgebracht.«
    »Was soll das heißen?«
    »Durch den Besitz dieses Landes hat Dolf einen Grund zu wollen, dass du verkaufst. Wenn du verkaufst, kann er es auch tun. Grantham meint, vielleicht hat Dolf die Rinder getötet und die Gebäude angezündet. Vielleicht hat er sogar diese Drohbriefe geschrieben. Er hätte sechs Millionen Gründe, so etwas zu tun. Danny hat auch auf der Farm gearbeitet. Wenn er Dolf dabei erwischt hat, wie er gegen dich arbeitet, dann hatte Dolf einen Grund, ihn umzubringen. Das ist jedenfalls eine der Theorien, die sie verfolgen.«
    »Lächerlich!«, sagte er mit schwerer Zunge.
    »Das weiß ich, verdammt. Darum geht es auch nicht. Ich will wissen, warum du Dolf dieses Land geschenkt hast.«
    Die Kraft, die ihn so plötzlich erfüllt hatte, verließ ihn wieder. »Er ist mein bester Freund, und er hatte nichts. Er ist zu gut, um nichts zu haben. Musst du wirklich noch mehr wissen?« Er hob sein Glas und kippte den letzten Rest Bourbon herunter. »Ich lege mich jetzt hin«, sagte er.
    »Wir sind hier noch nicht fertig.«
    Er antwortete nicht, sondern ging einfach hinaus. Ich stand in der Tür und starrte seinen Rücken an, als er sich entfernte, und in der gedämpften Pracht des großen Hauses spürte ich das Beben seines Fußes auf der untersten Treppenstufe. Der Schmerz, der meinen Vater erfüllte — was immer es sein mochte —, war seiner, und unter normalen Umständen hätte ich mich niemals eingemischt. Aber die Umstände waren alles andere als normal. Ich setzte mich an seinen Schreibtisch und strich mit den Händen über das alte Holz. Der Schreibtisch stammte aus England und war seit acht Generationen in meiner Familie. Ich öffnete die oberste Schublade.
    Sie war voller Durcheinander: Briefe, Büroklammern, Plunder. Ich suchte nach etwas, das klein genug war, um in der Hand eines großen Mannes zu verschwinden. Ich fand zwei Dinge. Das erste war ein beigefarbener Klebezettel. Darauf stand ein Name: Jacob Tarbutton. Ich kannte ihn flüchtig — irgendein Banker. Niemals hätte ich es für möglich gehalten, dass dies der Grund für die Seelenqualen meines Vaters sein könnte, wenn darunter nicht die Zahlen gestanden hätten. Sechshundertneunzigtausend Dollar. Darunter hatte er Erste Rate gekritzelt und dann das Fälligkeitsdatum, weniger als eine Woche entfernt. Bei der Erkenntnis krampfte sich mein Magen zusammen: Rathburn hatte die Wahrheit gesagt. Mein Vater hatte Schulden. Und dann dachte ich schuldbewusst daran, wie er darauf bestanden hatte, mich auszuzahlen, als er mich aus dem Haus geworfen hatte. Drei Millionen Dollar, überwiesen auf ein New Yorker Konto, eine Woche nach meiner Abreise. Dann dachte ich an Jamies Weinstöcke und an das, was Dolf mir erzählt hatte. Die Anpflanzung der Reben hatte noch einmal Millionen gekostet. Und er hatte gewinnbringende Produktionsflächen dafür geopfert.
    Ich dachte schon, ich hätte es endlich verstanden, aber dann machte ich den zweiten Fund, ganz hinten, versteckt in einer Ecke. Meine Finger entdeckten es beinahe zufällig: steif und viereckig, mit scharfen Ecken und einer Oberfläche wie Rohseide. Ich holte es hervor: ein Foto. Es war alt, auf Pappe gezogen und an den Rändern gekräuselt. Verblichen. Ausgewaschen. Es zeigte eine Gruppe von Leuten vor dem Haus, das ich als Kind gekannt hatte. Das alte Haus. Das kleine. Es füllte den Raum hinter der Gruppe mit einer Schlichtheit aus, die an mir riss. Ich löste mich davon und studierte die Leute, die davor standen. Meine Mutter sah blass aus, trug ein Kleid von unbestimmbarer Farbe. Ihre Hände waren vor dem Leib zusammengepresst; sie wandte der Kamera ihr Profil zu. Ich berührte ihre Wange mit der Fingerspitze. Sie sah so jung aus, und ich wusste, das Bild musste kurz vor ihrem Tod entstanden sein, Mein Vater stand neben ihr. Er war um die vierzig, breitschultrig und fit; sein Gesicht war glatt, sein Lächeln zurückhaltend, und sein Hut saß auf dem Hinterkopf. Er hatte meiner Mutter die Hand auf die Schulter gelegt, als wolle er sie aufrecht im Bild halten. Dolf stand neben ihm, breit lächelnd, die Hände in die Hüften gestemmt. Ungeniert fröhlich. Hinter ihm stand eine Frau, deren Gesicht teilweise von seiner

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