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Der dunkle Fluss

Der dunkle Fluss

Titel: Der dunkle Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Hart
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sprechen, wenn es ihm besser geht.«
    Er wandte sich ab und verschwand hinter einer Scheibe, in der sich hohe gelbe Wolken und das tiefe Blau eines windstillen Himmels spiegelten. Ich sah ihm nach, als er wegfuhr, und dachte an die Verzweiflung meines Vaters und an das, was er mit so viel Überzeugung gesagt hatte.
    Seltsame Dinge können im menschlichen Herzen passieren, Adam. Da gibt es Kräfte, die einen Mann zerbrechen können.
    Ich wusste immer noch nicht, wovon er da geredet hatte, aber plötzlich machte ich mir Sorgen. Ich wandte den Blick von Granthams Wagen hinauf zum Fenster meines Vaters im ersten Stock. Es war nur einen Fingerbreit hochgeschoben. Zuerst sah ich nichts, aber dann bewegte sich die Gardine ganz leicht, wie in einem Luftzug.
    Das sagte ich mir jedenfalls.
    Ein Luftzug.

VIERUNDZWANZIG
    I ch wollte mit Dolf sprechen. Ich musste. Nichts ergab einen Sinn: nicht Dolfs Geständnis, nicht Granthams Vermutungen. Das Einzige, was noch unwahrscheinlicher erschien als die Möglichkeit, Dolf könnte Danny ermordet haben, war die Vorstellung, dass mein Vater es getan hatte. Ich fuhr zum Gefängnis, doch man ließ mich nicht hinein. Besuch sei erlaubt, aber nur zu bestimmten Zeiten und nur, wenn der Name auf der Liste stand. Mein Name stand da nicht. Das entscheidet der Gefangene, informierte man mich.
    »Wer steht auf der Liste für Dolf Shepherd?«, fragte ich.
    Grace war die Einzige.
    Ich wandte mich zur Tür und drehte mich dann wieder um. Der Wachhabende sah gelangweilt aus. »Es muss doch eine Möglichkeit geben«, sagte ich.
    Er musterte mich gleichmütig. »Nein.«
    Frustriert fuhr ich zum Krankenhaus. Mein Vater hatte Grace von Dolf erzählt, und ich konnte nur ahnen, was sie jetzt dachte und fühlte. In ihrem Zimmer fand ich ein ungemachtes Bett und die Zeitung vom Tage. Dolfs Verhaftung stand auf Seite eins. Sie brachten sein Foto unter der Schlagzeile MORD NUMMER ZWEI AUF DER RED WATER FARM.
    Die Fakten zu Dannys Tod waren mager, die Schilderungen grell:
    Teilskelettierte menschliche Überreste wurden an diesem strahlend blauen Tag aus einer tiefen Felsspalte geborgen. Dolfs Geständnis war eine handfestere Nachricht. Der Sheriff hatte zwar erst für den folgenden Tag eine Pressekonferenz angesetzt, aber offensichtlich hatten zuverlässige Quellen schon geredet. Die Spekulationen schossen ins Kraut: Fünf Jahre nachdem schon einmal ein junger Mann auf derselben Farm ermordet wurde...
    Mein Foto kam auf Seite zwei.
    Kein Wunder, dass mein Vater sich betrunken hatte.
    Ich schloss Grace' Zimmertür hinter mir und machte mich auf den Weg zum Schwesternzimmer. Hinter der Theke saß eine attraktive Frau, die mir in knappem Ton mitteilte, Grace sei vor weniger als einer Stunde aus dem Krankenhaus entlassen worden.
    »Auf wessen Veranlassung?«, fragte ich. »Auf eigene.«
    »Sie ist noch nicht so weit, dass sie das Krankenhaus verlassen kann. Ich möchte ihren Arzt sprechen.«
    »Ich muss Sie bitten, leiser zu sprechen, Sir. Der Arzt hätte sie nicht gehen lassen, wenn er der Ansicht wäre, dass sie noch nicht genügend wiederhergestellt ist. Sie dürfen gern mit ihm sprechen, aber er wird Ihnen das Gleiche sagen.«
    »Zum Teufel damit.« Ich ging hinaus und hatte Grace gleich darauf gefunden: Sie saß auf dem Randstein vor dem Gefängnis, eine Kleidertasche auf dem Schoß und mit gesenktem Kopf. Das Haar hing ihr schlaff ins Gesicht, und sie wiegte sich leise vor und zurück, während keine zwei Schritte weit vor ihr die Autos vorbeirauschten. Ich parkte so nah bei ihr, wie es ging, und stieg aus. Sie blickte nicht auf, nicht einmal, als ich mich neben sie setzte. Also schaute ich zum Himmel und sah den Autos nach. Ich war vor weniger als einer Stunde hier gewesen. Wir mussten einander knapp verpasst haben.
    »Sie lassen mich nicht zu ihm«, sagte sie.
    »Du stehst auf der Besucherliste, Grace. Du bist die Einzige, die er sehen wollte.«
    Sie schüttelte den Kopf und antwortete fast tonlos. »Er ist wegen Selbstmordgefahr isoliert worden.«
    »Grace ...«
    »Selbstmordgefahr.« Ihre Stimme versagte, sie fing wieder an, sich zu wiegen, und ich verfluchte Grantham zum hundertsten Mal. Sie wollte Dolf sehen, und er wollte sie sehen. Sie konnte ihm Fragen stellen, die ich nicht stellen konnte, aber Grantham hatte ihn wegen Suizidgefahr in Beobachtungshaft nehmen lassen. Besucher waren nicht mehr zugelassen. Ich hatte den Verdacht, dass es Grantham bei dieser Entscheidung mindestens so sehr darum

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