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Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne

Titel: Der dunkle Kuss der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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kreuzten sich die Blicke der Sterbenden und der Siegerin. Aber nur in Medas Bernsteinaugen war der Abglanz von Trauer und maßloser Enttäuschung zu sehen. Es erschütterte mich, dass Tana mir so ähnlich sah. Die schrägen Wüstenaugen, die geschwungenen Brauen. Aber die Grausamkeit und der Triumph in ihrer Miene machte sie dennoch zu einer Fremden.
    Ein Knoten saß in meiner Kehle, heiß und würgend wie die Schuld, die nicht die meine war und doch zu mir gehörte. »Wasser«, flüsterte ich. »Das zeigt auch die Zeichnung in der Höhle. Aber wie kommt Wasser in die Wüste?«
    Klackern von Fahrstuhlmechanik hallte durch Gänge, dann gab es über uns eine Explosion. Das Gebäude knackte unter einer Druckwelle wie eine Eierschale, spinnwebfeine Risse kletterten an den Wänden herunter. Das helle Geklimper von fallenden Scherben sprang durch die Gänge.
    Trinn und ich rannten Hand in Hand. Es war, als würden zwei Wirklichkeiten durch mich hindurchfließen. Meine Gegenwart voller Panik und Angst – und Trinns Erinnerungen. Die leeren Räume füllten sich mit geisterhaften Gestalten, Krieger, die schwarze Maskenhelme von den Wänden nahmen und sie aufsetzten. Ich ertappte mich dabei, wie ich nach Amad Ausschau hielt. Aber an einer Steinsäule fand ich jemand ganz anderen. Einen Mann mit langem schwarzem Haar. Sein Blick war scharf wie der Dolchstoß, den er mir im Traum versetzt hatte. Trinn stolperte, als ich mit einem Keuchen zurückprallte. Ich riss die Waffe hoch. Aber es war nur eine Erinnerung und der Mann sah gar nicht mich an. Sondern Prinzessin Meda, die auf ihn zutrat. Der Rabenmann gehört auch zum Medasvolk?
    Das Bild aus der Vergangenheit verwandelte sich mit einem Blinzeln – in einen Söldner mit einem Gewehr, der hinter der Säule hervorsprang. Er sah meine Waffe und reagierte im selben Wimpernschlag. Ein Schuss prallte an meiner Haihaut ab. Noch einmal abdrücken konnte der Söldner nicht, er fiel nach hinten, schlitterte ein Stück und blieb reglos liegen. Drei Schüsse verhallten. Gleichzeitig senkten wir unsere Waffen. Ich konnte nicht fassen, dass ich tatsächlich abgedrückt hatte. Ein weiterer Schuss explodierte. Ich wirbelte herum. Gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie einem zweiten Söldner das Gewehr aus der Hand gerissen wurde, als hätte ein unsichtbares Seil es nach rechts gezogen. Ein zweiter Schuss umkreiste uns, Funken stoben von den Steinsäulen, dann brach der Soldat zusammen. Die Kugel hatte ihn von vorne getroffen. Mitten in die Stirn. Ich stutzte. Einfallswinkel gleich Ausfallswinkel? Jemand hat aus dem Hinterhalt die Kugel über mehrere Säulen gelenkt?
    Das Echo verklang. Dann hörte ich Meon zum ersten Mal lachen. »Wahida?«, rief er. »Was bist du? Ein Jahrmarktsschütze?«
    »Ich schieße meinen Gegnern nun mal nicht gerne in den Rücken«, kam die trockene Antwort. Eine schwarzhaarige junge Frau trat um die Ecke. Wie ein Beutestück trug sie den dunkelgrauen Militärmantel eines Gardekommandanten. In der Rechten hielt sie einen Revolver, am Gürtel hatte sie ein bluttriefendes Sichelschwert und zwei Stangen Dynamit. Mit der Linken umfasste sie einen weißblonden Haarschopf, an dem der abgeschnittene Kopf des älteren Kommandanten baumelte. »Nummer zwölf«, sagte mein mathematisches Mädchen. »Das war’s dann.« Sie warf den Kopf mit dem lässigen Stolz des Siegers in die Ecke. Mir war schlagartig übel. Wahida quittierte mein blasses Gesicht mit einem Fuchslächeln und schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Menschen!«, sagte sie mit betont gelangweiltem Tadel. »So wenig Sinn für die Winkelzüge, Millimeter und Hundertstel Sekunden, die einen Kampf entscheiden!«
    *
    Meons Befürchtung bewahrheitete sich nicht: Vor dem Nordtor warteten keine Bewaffneten auf uns. Als wir hinaustraten, begrüßte uns nur unberührter Schnee, der in der anbrechenden Nacht blaue Schatten fing. Mir hätte kalt sein müssen, aber in mir glühte noch der Schreck nach. Und in jedem meiner Albträume würde es mich verfolgen, dass ich auf einen Menschen geschossen hatte.
    Wahida atmete durch und hob Hände und Gesicht zum Himmel. Hier wirkte das mathematische Mädchen groß und aufrecht, viel stärker als hinter der blauen Haut ihres Kerkers. Schnee streifte ihre Wangen. »Das habe ich am meisten vermisst«, sagte sie mit einem Seufzen. »Den Duft nach Schnee und Himmel.«
    »Wohin gehen wir jetzt?«, fragte Trinn. Nervös knetete er seine Hände.
    »Von hier aus können wir nur

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