Der dunkle Kuss der Sterne
Blauhand war ihre Anführerin.
»Das große Chaos.« Meine Stimme klang hohl und verloren in den Raum. »Die Schlacht auf den Schädelfeldern. Die Gründung unserer Stadt. Das war ein Eroberungskampf gegen euch? Was ist geschehen, damals? Wie konnten wir euch in den Hinterhalt locken?«
Ich zuckte selbst zusammen, als ich das Wort wir aussprach.
Manchmal verändert ein Wort alles, das lernte ich in diesem Moment. Auch wenn ich selbst unschuldig war, das Zugeständnis hallte im Raum wie ein Echo, das Generationen darauf gewartet hatte, gehört zu werden.
Kallas’ Sichelschwert sank herab, die Spitze stieß mit einem Klicken auf den Glasboden. »Erzählen das eure siegreichen Geschichten in euren ach so klugen Büchern nicht?«, fragte sie leise. Zum ersten Mal, so schien es mir, sahen wir einander wirklich an.
Ich schüttelte den Kopf. »Unsere Bücher erzählen von einer Welt, in der die fünf Familien unserer Stadt die Helden waren. Nicht eure Verräter.« Diese Geschichte erzählen nur blaue Malereien in einer Höhle bei den alten Schlachtfeldern.
»Wir waren dabei, uns aus eurer Welt zurückzuziehen und wieder in unsere Heimat zurückzukehren«, sagte Meon leise. »Die Zeit war abgelaufen, wir mussten gehen, das Gefüge der Wirklichkeiten ist empfindlich und darf nicht lange gestört werden. Wenn Geschöpfe aus verschiedenen Weltenringen sich zu lange nahe sind, vermischen sich die Wirklichkeiten. Die Toten beginnen zu wandern, Wesen, halb Mensch, halb Tier werden geboren. Meda wusste das und achtete das Gefüge. Wir riefen die Medasleute aus allen Tempeln und Winkeln eurer Welt zurück. Viel hatten die Fünf von uns gelernt. Die Stadt mit den zwei Ringmauern war erbaut, man nannte sie die Stadt der Moreno. Wir hatten uns von den Fünf verabschiedet und sammelten uns hier. Aber wenige Stunden vor unserer Rückkehr erschien Tana hier mit einer Nachricht. Sie war verzweifelt, ihre Kleider waren zerrissen. Sie berichtete, andere Stämme hätten ihre Stadt in der Wüste überfallen. Viele seien getötet worden, der Rest hätte sich im inneren Ring verschanzt. Lange würden die Ringmauern den Angreifern nicht mehr standhalten können. Tana flehte unsere Herrscherin an, ihr ein letztes Mal in die Wüste zu folgen. Sie flehte unter Tränen und auf den Knien um Hilfe für ihre Stadt und die fünf Stämme.« Meon schluckte und sah einem Schneewirbel zu, der hinter dem zerbrochenen Tor tanzte. »Meda zögerte und auch wir anderen hatten Zweifel. Es ist nicht unsere Aufgabe, in dieser Welt Kriege zu führen. Aber Medas Berater sprach für die Menschen, er sprach von Freundschaft, und Meda … hörte ihm zu und entschied, Tana Blauhand ein letztes Mal zu folgen.« Er holte tief Luft. »Es war ein Fehler. Seitdem sind wir gebunden, mit Ketten aus Bannsprüchen und Blut.«
Ich konnte Meons Blick nicht länger standhalten. Auf dem Glasboden waren rote Flecken, dort, wo ich mich bei dem Sturz mit meinen verletzten Händen abgestützt hatte. Wie Höhlenmalereien, die die wahre Geschichte meiner Stadt zeigten. Und nicht nur ihre Geschichte. Auch eine andere Wahrheit stand im Raum wie ein dunkler Gast, den ich noch nicht anzusehen wagte, so viel Angst machte er mir. »Diese … Tätowierung«, flüsterte ich. »Euer Freundschaftszeichen. Trugen es die Traumdeuter auch?«
Meon schüttelte den Kopf. »Euer Zeichen war unser Blau an euren Händen. Ein Geschenk, das wir euch machten. Das Sternenblau war euer Schlüssel zu den Wegen zwischen den Wirklichkeiten. Wir schenkten es Tana. Sie war die Hüterin der Wege.«
Deshalb hütet meine Familie das Geheimnis dieses besonderen Blaus bis heute.
»Unser Zeichen der Freundschaft habt ihr in ein Sklavenzeichen verwandelt«, schloss Kallas bitter. »Es bindet uns an unsere Kerker. Und das Sternenblau mischt ihr nicht mehr mit eurem Blut, so wie ihr kein Versprechen mehr haltet. Ihr schmiert euch die Farbe nur noch einmal im Leben auf die Haut – und verhöhnt damit in eurer Hochzeitsnacht unsere Machtlosigkeit. Und wie Eroberer tragt ihr unsere Festgewänder am Tag, an dem ihr unsere Ketten in euren Zweiheiten endgültig festzurrt.«
Sklavenzeichen. Ich musste die Augen schließen, so schwindelig war mir. Juniper hatte klarer gesehen als ich. Aus gutem Grund hatte Amad nur in Andeutungen und Rätseln gesprochen und selbst das war zu viel. » Vergiss mich! Es darf nicht sein! Die Méganes dürfen dir nicht misstrauen.«
Es brauchte lange, bis ich den Mut fand, meine erstarrte Hand
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