Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne

Titel: Der dunkle Kuss der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
Vom Netzwerk:
geblendet von ihrer Schönheit.
    Sie sagte nichts, als ich mich neben sie setzte. Ich musste mich beherrschen, ihr keine Vorwürfe ins Gesicht zu schleudern, aber die Wahrheit saß auch im Schweigen zwischen uns, und nichts konnte sie vertreiben.
    »Was willst du noch, Canda?«
    »Dein Geliebter nennt dich Stern«, begann ich. »›Folge mir, mein schöner Stern‹, das hat er zu dir gesagt, mit Tians Stimme.« Wenn sie überrascht war, verbarg sie es gut. Aber dennoch entging mir nicht, wie sie sich kaum merklich versteifte. »Und später habe ich von deinem Krieger geträumt, er hat langes Haar, so schwarz wie Rabenschwingen. Im Traum hat er mich geküsst und dann – stieß er mir den Dolch ins Herz. Der Kuss war für dich bestimmt, der Tod … für mich.« Kallas schluckte und hob den Blick zum Himmel. Ein heller abnehmender Mond stand dort, gesäumt von Sternen. »Tian sagte zu mir, unser erster Kuss sei für ihn wie ein Erwachen gewesen«, fuhr ich fort. »Aber in Wirklichkeit seid ihr beide erwacht, der Rabenmann und du. Weil ihr euch liebt und euch wiedergefunden habt. Ihr habt einander in unseren Augen gesehen. In dem Traum, den ich in den Geisterbergen geträumt hatte, küsste dein Rabenmann mich. Aber in seinen Augen spiegelte ich mich nicht – da war blondes Haar. Du!«
    Kallas lächelte ohne einen Funken Freude. »Rabenmann? So nennst du ihn?« Sie wischte sich mit einer fast wütenden Geste die Tränen von den Wangen. »Sein Name ist Gavran. Kein Land wäre entdeckt worden, kein Kontinent, wenn er die Menschen nicht ruhelos gemacht und den Traum in ihren Herzen entfacht hätte, fortzugehen und etwas Neues zu finden. Früher, als wir noch Lichter waren, da begleiteten wir oft dieselben Menschen. Zu einer Eroberung oder Entdeckung kommt die Schönheit des Triumphs, die wie ein helles Licht brennt. Wir haben Königinnen und Entdeckerinnen auf die Spitze ihres Triumphs begleitet und sind weitergezogen, manchmal gemeinsam, manchmal in verschiedene Richtungen. Aber nie waren wir im Herzen getrennt.«
    Der Blick des Eroberers. Tians wichtigste Gabe . Unsere Heimlichkeiten und Kletterpartien in der Kindheit bekamen einen ganz neuen Sinn. Und auch die Unruhe, die Tian dazu getrieben hatte, Auswege aus der Stadt zu suchen.
    »Ja, es ist selten, aber manchmal lieben auch Geschöpfe wie wir einander«, ergänzte Kallas fast trotzig. »Und manchmal überdauert diese Liebe sogar ein Jahrhundert voller Einsamkeit in Ketten.«
    »Dann hat Gavran Tian eingeflüstert, nachts mit mir auf die Dächer zu gehen und sich die Reisen auszumalen. Und er war es, der eure Flucht geplant hat.«
    »Er hat mir von den Reisenerzählt, nicht dir!«
    »Und wir waren eure Marionetten?«
    Sie schüttelte den Kopf und seufzte. »Oh nein, Marionettenspieler halten die Fäden in den Händen. Wir waren schwach. Deshalb musste ich ja Tian für mich gewinnen, damit er mich aus freiem Willen liebt und befreien will. Er konnte mich in dir sehen, mit Gavrans Augen.«
    »Aber es war Tian, der dich aus deinem Gefängnis geholt hat. Wie, Kallas?«
    Sie sprang auf und klopfte sich den Schnee von der Kleidung. »Glaubst du wirklich, ich bin so dumm und sage dir noch ein Wort? Ich habe Gavran ein zweites Mal verloren – und dank dir kann ich ihn nie wiederfinden. Du hast mir alles genommen!«
    »Du hättest Tian ertrinken lassen!«
    »Was hättest du getan, wenn es um das Leben deines Geliebten ginge?«
    »Jedenfalls hätte ich niemanden ermordet, den ich eben noch geküsst hätte! Hasst du uns wirklich alle so sehr, dass du uns sterben sehen willst?«
    Endlich sah sie mich direkt an. Ich wäre enttäuscht gewesen, wenn nicht ein Schatten von Schuld über ihre Miene gehuscht wäre. Ihre Lippen waren blass, so fest presste sie sie zusammen. Hier, im Mondlicht, hätte sie jedes Alter haben können. Und in jedem Alter hätte ihr Glanz jedem Betrachter den Atem geraubt. »Ich will niemanden mehr sterben sehen«, erwiderte sie mit gebrochener Stimme. »Keinen von uns und keinen von euch. Und ob du es glaubst oder nicht: Ich wollte Tian nicht töten, ich wollte ihn nur über den Fluss bringen, um jeden Preis. Und um ein Haar wäre es mir gelungen! Aber Amad hat es verhindert. Er wusste genau, worum es geht. Er erkennt – wie jeder von uns – das Onyxwasser, das nur dort fließt, wo unsere Welt so nah ist, dass wir sie fast berühren können. Aber das schwarze Wasser ist wie eine Grenze, es trennt alle Verbindungen mit den Menschen, und das hat Amad nicht

Weitere Kostenlose Bücher