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Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne

Titel: Der dunkle Kuss der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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zugelassen, obwohl er uns doch angeblich retten will?« Sie schüttelte den Kopf. »Trau ihm nicht, Canda! Wäre er auf unserer Seite, hätte er Tian gehen lassen, und vier von uns mit ihm. Jetzt wird Tian so oder so sterben – in deiner geliebten Stadt. Und seine vier Lichter werden die Qualen erleiden, wieder zu neuen Herren zu kommen. Auch …Gavran.« Die traurige Zärtlichkeit in ihrer Stimme schwang auch in mir.
    »Niemand wird sterben!«, rief ich. »Ich werde zurückgehen und …«
    Sie schüttelte den Kopf. »Genau das wollen sie doch! Und das will auch Amad. Du sollst zurückkommen, deine Aufgabe ist erfüllt, du hast unsere Spur gefunden. Und ohne uns bist du in Ghan nichts mehr wert. Ich gebe dir einen guten Rat: Lauf weg, so weit du kannst, verliebtes Mädchen! Du bist als Einzige von uns frei und kannst irgendwo neu anfangen. Vergiss den Verräter. Und vergiss uns!«
    Das Schlimme war, sie schaffte es tatsächlich, einen Zweifel in mir aufkeimen zu lassen. Trau mir nicht. Das hatte Amad gesagt. Aber selbst hier glaubte ich noch seine Umarmung und seinen verzweifelten Kuss zu spüren und wusste, dass zumindest das keine Lüge gewesen war.
    »Glaubst du wirklich, ich kann nach all dem, was ich weiß, davonlaufen? Ich habe keine Wahl! Kallas, du musst mir sagen, was in der Brautnacht wirklich geschehen ist.«
    »Ich muss ?« Kallas hob das Kinn. Ihre Augen sprühten Funken. Jetzt war sie eine Kriegerin. »Du befiehlst mir nicht mehr!«
    »Um Befehle geht es hier nicht! Es geht um euch, um uns – und auch um Gavran. Du wolltest mich töten und trotzdem stehe ich hier und rede mit dir. Es wäre ein Leichtes gewesen, euch der Garde auszuliefern, stattdessen habe ich mit euch gegen sie gekämpft. Was muss ich noch tun, damit du mir vertraust?«
    Kallas blinzelte, aber diesmal gab sie sich nicht die Blöße, vor mir zu weinen.
    »Gib mir Gavran zurück«, sagte sie. Ich hörte keinen Schritt, als sie davonging. Und ich hielt sie nicht mehr zurück.
    *
    Ebenso lautlos trat Wahida neben mich. Schweigend blickten wir Kallas nach, bis sie hinter dem Vorhang aus Schnee verschwunden war.
    »Sie hasst mich wirklich«, sagte ich leise.
    Wahida zuckte mit den Schultern. »Nimm es ihr nicht übel.« Immer noch trug sie über dem Harnisch und der schwarzen Kleidung der Medaskrieger einen Militärmantel. Sie rückte ihren Waffengurt fest und prüfte beiläufig, ob ihre Schusswaffe richtig saß. Es war verstörend, wie sehr sie einer Soldatin Ghans glich. Meinen Blick deutete sie wohl falsch und nahm sofort die Hand von der Waffe.
    »Ich hasse dich nicht«, sagte sie beruhigend. »Im Gegenteil: Ich mochte dich immer. Du hast die Zahlen wirklich geliebt, du hast mit ihnen gespielt wie eine junge Katze mit einem Ball. Sie waren dein Trost, deine Beruhigung, deine Freude. In den ganzen Jahren war es das, was mir Hoffnung gab.«
    Ich musste schlucken. »Das war wenig genug.«
    »Auch die kleinste Zahl hinter einem Komma ist immerhin größer als null«, erwiderte sie und zwinkerte mir zu. »Komm mit, wir bleiben über Nacht in den Soldatenkammern beim Nordtor. Und morgen sehen wir weiter.«
    »Warte … bitte.«
    Sie verharrte, und selbst jetzt, in dieser angespannten, aufrechten Frage ihrer Haltung war sie von Kopf bis Fuß das, was sie vorgab zu sein.
    »Wie … ist es, in diesen Kerkern aus Glashaut?«
    »Zum Verrücktwerden einsam«, erwiderte das mathematische Mädchen. »Wie in einem Albtraum, aus dem man glaubt zu erwachen, nur um festzustellen, dass man nur in einem anderen Albtraum gelandet ist.«
    »Albträume? Jede einzelne Nacht.« Das hatte Amad gesagt. »Sobald ich die Augen schließe. Und oft genug sogar mit offenen Augen.«
    »Ihr schlaft also.«
    »Meistens. Aber es ist ein unruhiger, gequälter Schlaf. Getrennt von den anderen, die wir weder sehen noch hören. Ich konnte nicht schreien, nur deine mathematische Stimme sein, dein Leben lang. Du hast meine Zahlen aufgesogen und auch die anderen Gaben. Du hast dadurch geleuchtet und in deinen Talenten übermenschlich hell gestrahlt, aber für uns ist es wie ein langsames Verbluten in einem blauen Sarg. Und ihr bestimmt, wie eng dieser Sarg ist.«
    Sie strich sich das Haar hinter das Ohr. Schnee rieselte. Diese mädchenhafte Geste machte diese Kriegerin jünger als Trinn. »Wir können ein Jahrhundert so existieren«, fuhr sie leise fort. »Vielleicht auch länger, aber wir werden von Jahr zu Jahr schwächer – viele von uns sind schon verloschen. Und mit

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