Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne

Titel: Der dunkle Kuss der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
Vom Netzwerk:
kein Wort, und selbst Vida, die erst noch meine Hand umklammerte, als wollte sie mir die Finger brechen, schwieg und kletterte in die Schwärze. Als Letzte glitt ich in den Schacht. Es war ein Wettlauf gegen die Echos von Soldatenschritten. Wenn sie in den Schacht schießen, sind wir verloren , dachte ich mit einem Frösteln.
    Je tiefer wir kamen, desto mehr roch es nach altem Stein und Staub, nach Knochen und Rattenfell und Sand. Der Schacht führte uns tief hinab in ein Labyrinth aus alten Fundamentmauern.
    Insekten flohen vor uns, viel zu nah kratzten Gliederbeine über Mauern. »Wir sind unter der Stadt!«, flüsterte Kallas. »Durch solche Gänge sind Tian und ich geflohen. Gavran kennt das Labyrinth.«
    Neben mir verschob sich die Dunkelheit in einer fließenden Bewegung. Die Toten glitten nach rechts und verschwanden. »Stopp!«, flüsterte ich. »Wir müssen hier irgendwo nach rechts!«
    Meine Hand glitt über rauen Stein und dann über kühle Glätte. Und die Rundung eines weiteren Schachteingangs. »Reicht mir die Taschenlampe hoch, ich gehe vor!«
    Ein greller grüner Lichtball zischte an uns vorbei und tauchte alles in gleißendes Licht. Glas reflektierte an einem Loch in der Wand, einen halben Meter neben der Leiter. Es war im Fließen erstarrt.
    »Sie sind da unten!«, rief jemand.
    Ich stieß mich von der Leiter ab. Etwas Scharfes, Heißes streifte mich noch im Sprung, dort, wo die Schulter nicht mehr von der Weste aus Haihaut geschützt war, dann landete ich auf Stein, taub von dem Schuss, der mich getroffen hatte. Ich drehte mich um und riss Vida zu mir. Schüsse echoten. Wahida feuerte nach oben, während ich Hand um Hand ergriff. Das grüne Licht erlosch, als Wahida als Letzte zu uns sprang.
    Schmerz jagte bei jeder Bewegung durch meine Schulter, warme Nässe floss an meinem Arm entlang. Aber mein Körper kroch ganz von selbst weiter, auf der Flucht vor dem metallischen Klicken von Stiefeln auf Leitersprossen, vor mir die Toten, die mir zuwinkten, mich zu beeilen. Plötzlich war überall Echohall, als wären über uns Kuppeln und hohe Decken. Meine Finger stießen auf glatte Mauern, wasserdicht verputzt. »Die alten Zisternen«, flüsterte ich Meon zu. »Wir sind im Labyrinth der alten Wasserreservoirs.«
    Aus der Ferne glühte wieder grüner Schein auf und zeigte mir eine bizarre, auf dem Kopf stehende Welt. Ich vergaß meine Verletzung und starrte mit offenem Mund an die Decke. Ein … Fluss? Über mir? Aber dann erkannte ich, dass es Glas war. Als wäre es in flüssigem Zustand an den Wänden hochgeflossen und hätte sich an der Decke zu einem Strom zusammengefunden, der mitten im Wellengang erstarrt war. Das Labyrinth verzweigte sich in mehrere Gänge, aber die Glasspur führte nur in einen von ihnen. Dorthin, wo die Wächterschatten auf uns warteten.
    Ich knickte mitten im nächsten Schritt ein, aber Juniper fing mich ab und stützte mich.
    »Du bist ja verletzt!« Vida stürzte zu mir. Ich erinnerte mich an meine Schwester, die beherrscht war und ihre Gabe der Autorität ausspielte, aber nun war sie nur noch ein verängstigtes Mädchen, das die Welt nicht mehr verstand.
    »Alles wird gut, Floh«, flüsterte ich ihr zu.
    Und woher weißt du das?
    »Wir trennen uns«, entschied Wahida. »Wir führen die Verfolger weg von euch. Ihr vier folgt den Toten. Beeilt euch! Trinn! Nimm den Hund, so finden wir Canda wieder.«
    Der Junge, der die Gabe meiner Erinnerung gewesen war, nahm von Wahida eine Waffe entgegen und nickte knapp. Natürlich war er blass vor Furcht, aber nun erschien er mir älter, als er war. Er hielt kurz inne und schenkte mir ein Lächeln, dann strich er mit dem Handrücken über meine Wange. Eine zarte Geste, die mir die Tränen in die Augen steigen ließ. »Erinnere dich«, sagte er leise. Und wieder floss ein Strom von Bildern durch mich hindurch: Medas Tod, und Wasser, das zu Glas wurde, hinter dem die Krieger verblassten.
    *
    Ich wusste nicht, wie lange ich weiterstolperte, gestützt von Juniper und Vida. Kallas folgte uns in einiger Entfernung mit entsichertem Gewehr. Kälte kroch in meinen linken Arm, der längst keine Kraft mehr hatte. Echos umkreisten uns, Schüsse in der Ferne und Rufe von verschiedenen Seiten. Grüner Schimmer erhellte manchmal den erstarrten Fluss über uns und glatte Wände, unberührt von Glas.
    »Magie, die sich ins Gegenteil verkehrt«, murmelte ich. »Wasser in der Wüste. Ein Fluss, mitten in der Stadt … deshalb wurden die Zisternen

Weitere Kostenlose Bücher