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Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne

Titel: Der dunkle Kuss der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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liebsten geweint. Trotzdem streckte ich die Hand aus. Seltsamerweise sah ich sie trotz meiner geschlossenen Augen. Meine Finger berührten etwas Kaltes, Glattes. Blaues Licht erblühte hinter meinen Lidern – Kreise um meine Fingerspitzen. Aber erst als ich die Handfläche flach an die gläserne Haut von Amads Kerker drückte, geschah etwas. Das undurchdringliche Glas wurde weich wie Wasser. Blaue Ringe glitten von der Stelle fort und waberten nach außen, dann tauchte meine Hand ganz ein, mein Handgelenk, der halbe Unterarm – und dort war Amad, allein stehend in schwarzer Unendlichkeit! So wie ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, mit windzerzaustem Haar und umschatteten Augen voller Liebe und Angst um mich. Mein Kuss hatte ihn geweckt. Jetzt hätte ich vor Glück heulen können. »Amad! Nimm meine Hand!«
    Er ergriff meine Rechte, und es war so wirklich, dass ich nie wieder die Augen öffnen wollte.
    »Er ist tot«, sagte jemand neben mir, oder unendlich weit entfernt. Das Zwischenreich zerfiel in flirrende Tropfen. In einem Blitzlichtmoment sah ich andere Lichter neben Amad. Nicht vier, sondern sechs. Amad war der siebte. Es stimmt also, dass die Herrscher so viele Lichter an sich binden können, wie sie wünschen. Sie verschwanden sofort, vier verloschen einfach, aber die anderen … wurden davongezogen wie von einem wirbelnden Strom. Auch Amad. »Nein!« Ich keuchte und stemmte mich gegen den Sog. Mein Herz kam aus dem Takt und wurde langsamer und langsamer, mir wurde schwindelig. Kallas’ Arme lagen um meine Taille und zogen mich zurück. Amad lächelte mir schmerzlich zu und schüttelte den Kopf. Und dann öffnete er die Hand, die sich an meiner festhielt. Ich hörte nur ein Wort, verklingend, als wäre seine Stimme schon an einem anderen Ort. »Zentrum!« Er wurde von mir fortgerissen, mit meinem Atem, meinem ganzen Schmerz und einem Schrei, der in der Unendlichkeit einer anderen Wirklichkeit verhallte.
    Ich riss die Augen auf, in mir eine schreiende Leere und Verzweiflung. Vor mir lag der Tote, der kein Herrscher mehr war. Auf eine Art tat er mir leid. Ohne den Glanz der Lichter war er ein farbloser Greis, verwelkt wie ein Blatt, das bei der leisesten Berührung zerfallen würde. Er war unscheinbar und hart, die Medasmenschen hatten ihm im Leben Schönheit und Würde verliehen, die er selbst nie gehabt hatte. Jetzt blieben nur noch harte Züge ohne jeden Funken Güte.
    Das Zentrum des Netzes ist doch nun zerstört , dachte ich benommen. Aber die Lichter sind immer noch gefangen. Wie kann das sein?
    »Es tut mir so leid«, sagte Kallas. Sie ließ mich nicht los, sondern umarmte mich fester. Zentrum , hallte es in mir. Vier Lichter sind verloschen, drei wurden fortgezogen. Wohin? Und plötzlich wusste ich es.
    Ich drehte mich zu Kallas um. »Der eiserne Turm und die Méganes sind nicht das Zentrum!«, stieß ich hervor. »Der Mégan hat sich Amad als Gabe von einem anderen Menschen genommen. Dieser Mensch lebt noch, Amad ist immer noch mit ihm verbunden. Als der Mégan starb, musste Amad zu seinem wirklichen Herrn zurückkehren. Er ist im Zentrum! Und dort sind auch Tian und Gavran!«
    »Wie finden wir Amad?«, sagte Wahida.
    Ich wandte mich zu den Wächterschatten um. Sie wirkten dunkler und ruhiger, als hätte das Blut des Mégan sie genährt.
    »Wir nicht, aber die Toten«, antwortete ich. »Ich habe mein Versprechen gehalten: Mein Blut oder das ihres Henkers. Und jetzt werden sie mich zu Amad führen.«
    Diesmal nickten sie nicht nur, zum ersten Mal antworteten sie mir, mit Stimmen aus Eis und Sand.

Tian hatte mir erzählt, dass die Stadt voller geheimer Wege war. Und nun sah ich staunend, dass es Türen gab, die für den Zaubertrick eines perfekten Illusionisten gemacht schienen. Eine optische Täuschung machte den schmalen Spalt unsichtbar, ein Hebel ließ eine Art Drehtür aufschnappen und sofort wieder zurückfallen. Ich glitt als Letzte hinter die Wände, im selben Moment, als eine Explosion den Gang hinter der Glaswand mit einem neongrellen Blitz erhellte.
    Wir flohen, so leise wir konnten. Das Licht einer kleinen Taschenlampe fing erst schmale Treppen ein und dann, nach mindestens hundert Stufen, eine steile Metallleiter, die sich in schwarzer Unendlichkeit verlor. Die Wächterschatten flackerten ungeduldig. In der Ferne hallten Männerstimmen und Schritte. Juniper packte kurzerhand die Graue und schulterte sie, dann kletterte sie geschickt mit nur einer Hand voraus nach unten. Wir sprachen

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