Der dunkle Kuss der Sterne
ein rußiger Ring und ich lag halb verdurstet auf Fels. Erschrocken rappelte ich mich auf die Beine. Kein Hund weit und breit – nur zerwühlter Knochensand am Fuß des Felsplateaus – morgenrosa überstrahlt von der aufgehenden Sonne. Und etwas weiter der Kadaver einer Kreatur, eingefallen, wie mumifiziert, die faltige Haut von derselben Farbe wie der Sand. Zerzauste schwarze Aasvögel hopsten in der Nähe herum, aber keiner von ihnen schlug den Schnabel in den Kadaver. Mein schwarzer Dolch lag ein Stück weiter halb im Sand vergraben.
Mir war schwindelig vor Durst, ich schlitterte mehr als ich kletterte von dem flachen Plateau, landete im Sand – und atmete auf. Die Hunde waren noch da. Sie hatten sich unter den Tamariskenbaum zurückgezogen und verspeisten dort einen Wüstenwaran, den sie wohl erbeutet hatten. Ich huschte in weitem Bogen an ihnen vorbei und nahm den Dolch an mich. Obwohl ich die Waffe nicht mochte, war ich froh, sie wiedergefunden zu haben. Amadar entdeckte ich am Fuß des Geröllhaufens.
Halb von mir abgewandt kniete er auf einem Bein im Sand. Den Ellenbogen auf das aufgestellte Knie gestützt, betrachtete er etwas, das vor ihm lag. Ich wollte ihn schon rufen, aber eine seltsame Scheu hielt mich davon ab. Die Art, wie er dort kniete, rührte etwas in mir an: der gebeugte Nacken, die Hand, die nun über den Sand strich, unendlich behutsam, als würde er ein lebendes Wesen berühren, das er nicht aufwecken wollte. Seine Schultern sanken herab, als würde das Gewicht eines großen Kummers auf ihnen lasten. Sein geheimer Schmerz berührte mich mehr, als ich zugeben wollte. Es war, als hätte er einen dunklen Ton angeschlagen, der auch in mir etwas zum Schwingen brachte.
Er holte etwas aus seiner Gürteltasche und legte es offenbar in den Sand vor sich. An der Bewegung seines Armes konnte ich erahnen, dass er sich dann mit dem Ärmel über die Augen fuhr. Weint er? Ich wusste nicht, warum mich diese Vorstellung so erschreckte. Ich wollte mich schon hastig zurückziehen, aber er stand auf und drehte sich zu mir um. Er suchte nicht mit dem Blick, er fand meinen. Seine Lippen waren ein wutbleicher Strich. Aber trotzdem erhaschte ich für eine flüchtige Sekunde auch einen Blick auf einen ganz anderen Amadar. Traurig und gequält von einem geheimen Kummer – und erschreckend jung. Ich hatte schon vergessen, dass er kaum älter war als ich. Seltsamerweise kam er mir nicht mehr so hässlich vor. Wäre ich eine Niedere, würde ich ihm vielleicht sogar zulächeln, dachte ich erstaunt. Und vielleicht würde er mein Lächeln erwidern.
Aber der Augenblick verging, Wut überschattete seine Züge und er war wieder der Bluthund, sarkastisch und hasserfüllt.
»Spionierst du mir hinterher?«
Ich schluckte. »Ich bin aufgewacht und habe dich gesucht.«
»Schön, jetzt hast du mich ja gefunden.« Mit großen Schritten kam er auf mich zu und warf mir im Vorübergehen den fast leeren Wasserbeutel zu. »Ein paar Schlucke sind noch drin. Nimm sie dir, das muss für die nächsten Stunden reichen. Ich sehe mir noch die Falle an, dann brechen wir auf.«
Aber das Zittern war noch in mir, die fremde Trauer, die in mir selbst einen Widerhall fand. »Was hast du da gerade gemacht?«
»Spuren geprüft, was sonst?« So sehr mich seine barsche Art kränkte, es war immerhin interessant, zu erfahren, wie gut er lügen konnte. Um ein Haar hätte ich tatsächlich vergessen, dass ich vor ihm auf der Hut sein musste. »Es wird nicht die letzte Falle sein, die dein Liebster uns gestellt hat«, setzte er hinzu. Ohne sich umzusehen, überquerte er den Geröllberg und kletterte den Abhang hoch. Ich zögerte, ihm zu folgen. Wie ein Echo aus meinem alten Leben hallte in mir ein Leitspruch der Morenos: Setze alles daran, deinen Feind kennenzulernen . Wenn er eine Schwäche hat, eine Sehnsucht, eine Liebe, einen Schmerz, finde es heraus!
Ich machte einen Schritt zur Seite, dann noch einen, und schließlich, als Amadar sich nicht umdrehte, huschte ich zu der Stelle, an der er eben noch gekniet hatte. Neben der Kuhle, die sein Knie in den Sand gegraben hatte, lagen Knochensplitter – und ein zerbrochener Unterarmschoner, wie ihn Krieger aus alten Zeiten getragen hatten. Vom einst glänzenden Kupfer war nur noch ein mattes verwittertes Grün übrig, zerfressen und durchbrochen wie Spitze. Daneben war der Sand glatt und scheinbar unberührt. Aber ich erinnerte mich nur zu gut an ein Ritual aus grauer Vorzeit. Wenn du fortgehst, gib
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