Der dunkle Schirm
nach Denver ziehen sollen.«
»Diese schrecklichen Streitereien«, sagte der ältliche Mann. »Und wie sie dauernd Sachen kaputtschlagen, und dann der ganze Lärm.« Er starrte Arctor mit einem mü-
den, flehenden Blick an, fast so, als erwarte er Hilfe von ihm oder vielleicht wenigstens ein bißchen Verständnis.
»Weiter und weiter, es hört nie auf, und außerdem, was überhaupt das Schlimmste ist …Wissen Sie, jedesmal –«
»Ja, erzähl’ ihm das mal«, drängte die ältliche Dame.
»Was am schlimmsten ist«, sagte der ältliche Mann
würdevoll, »ist nämlich Folgendes: Jedesmal, wenn wir nach draußen gehen, um einzukaufen oder einen Brief einzuwerfen, dann treten wir in … na, Sie wissen schon
… in das, was die Hunde so hinter sich lassen.«
»Hundekürtel«, sagte die ältliche Dame voller Entrü-
stung.
*
135
Der Streifenwagen der örtlichen Polizeistation tauchte auf. Arctor gab seine Zeugenaussage zu Protokoll, ohne sich als Polizeibeamter zu erkennen zu geben. Der Bulle nahm seine Aussage auf und versuchte, auch eine von Kimberly zu bekommen, die die Polizei ja schließlich alarmiert hatte; aber was Kimberly sagte, ergab keinen Sinn. Sie lamentierte nur pausenlos über das Paar Stiefel und warum sie sie besorgt hatte und wie viel sie ihr bedeuteten. Der Bulle, der mit seinem Klemmblock und
einem darauf befestigten Formular Kimberly gegenüber-saß, blickte einmal zu Arctor auf und betrachtete ihn mit einem kalten Ausdruck, den Arctor zwar nicht deuten konnte, der ihm aber jedenfalls ganz und gar nicht gefiel.
Schließlich riet der Bulle Kimberly, sich ein Telefon anzuschaffen und wieder anzurufen, wenn der Verdächtige noch mal zurückkam und noch mehr Ärger machte.
»Haben Sie das mit den aufgeschlitzten Reifen no-
tiert?« erkundigte sich Arctor, als der Bulle gerade wieder gehen wollte. »Haben Sie den Wagen des Mädchens draußen auf dem Parkplatz untersucht und persönlich festgestellt, wie viele Reifen beschädigt worden sind?
Steht in Ihrem Protokoll drin, daß die Schäden mit einem scharfen Gegenstand – vermutlich einem Schnappmesser
– verursacht worden sind, und zwar erst vor ganz kurzer Zeit – sogar jetzt tritt ja noch Luft aus den Reifen aus?«
Der Bulle starrte ihn wieder mit dem gleichen Aus-
druck in den Augen an und ging ohne weiteren Kommentar.
»Du bleibst besser nicht hier«, sagte Arctor zu Kim-136
berly. »Er hätte dir den Rat geben sollen, dich davonzu-machen. Hätte dich fragen sollen, ob es irgendeinen anderen Ort gibt, wo du unterkommen könntest.«
Kimberly saß auf der schäbigen Couch in ihrem mit
Trümmern übersäten Wohnzimmer. Jetzt, da sie ihre unzulänglichen Bemühungen, dem ermittelnden Beamten
ihre Situation darzulegen, eingestellt hatte, waren ihre Augen wieder so glanzlos wie zuvor. Sie zuckte die Achseln.
»Ich fahre dich überallhin, wo du hin möchtest«, sagte Arctor. »Weißt du irgendeine Freundin, bei der du –«
»Mensch, verpiß dich doch endlich!« sagte Kimberly
übergangslos mit einer bösen Stimme, die sehr wie die Dan Manchers klang, nur rauher. »Verpiß dich, und zwar auf der Stelle, Bob Arctor – zisch ab, mach ‘ne Fliege, verdammt noch mal. Hau endlich ab!«
Ihre Stimme wurde immer schriller und brach dann
verzweifelt ab.
Er verließ wortlos das Apartment und stieg langsam
die Treppe hinunter, Stufe um Stufe. Als er die unterste Stufe erreichte, hörte er einen Knall. Etwas rollte hinter ihm die Treppe herunter; es war die Dose mit Drano. Er hörte, wie Kimberly ihre Tür wieder verschloß, einen Riegel nach dem anderen vorschob … Völlig sinnlos,
dachte er. Das ist alles völlig sinnlos. Der Ermittlungsbe-amte rät ihr, wieder anzurufen, wenn der Verdächtige zurückkommt. Aber wie kann sie das, ohne ihr Apartment zu verlassen? Und dann wird Dan Mancher sie auf-schlitzen, genau wie die Reifen. Und wenn sie dann tot umfällt … Plötzlich erinnerte er sich an die Klagen der 137
alten Leutchen, die eine Treppe unter Kimberly wohnten.
Ja, wenn sie dann tot umfällt, wird sie bestimmt mitten in einem Häufchen Hundescheiße landen. Er verspürte den Drang in sich, hysterisch loszulachen. Als er daran dachte, in welcher Rangordnung diese alten Leutchen die Probleme in ihrer Umgebung sahen. Da verprügelt zwar eine Etage über ihnen ein ausgeklinkter Freak Nacht für Nacht eine junge Rauschgiftsüchtige, die auf den Strich geht, mit tödlicher Sicherheit eine schwere Kehlkopfentzündung hat und
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