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Der dunkle Thron

Der dunkle Thron

Titel: Der dunkle Thron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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Waringham in jedem Winkel zu lauern schienen.
    Sobald die Teller abgetragen wurden, zog Lord Waringham sich für gewöhnlich in seine Bibliothek zurück, aber zur Feier von Nicks Heimkehr blieb er heute in der Halle sitzen und bat Bessy, ihnen noch einen Krug Wein zu bringen. Nachdem Ray unter erbitterten Protesten an der Hand der Magd zu Bett gegangen war, sprachen sie noch eine Weile über Nicks Zeit auf Sir Thomas’ Schule, doch der Junge merkte bald, dass das Thema alle bis auf seinen Vater langweilte, und darum bat er seine Schwester, ihm ihr neues Virginal vorzuführen.
    Willig holte Laura das kleine Tasteninstrument herbei und stellte es auf den Tisch vor sich. Dann nahm sie wieder Platz, öffnete den kunstvoll mit Blumenranken und Vögeln bemalten Holzdeckel und begann zu spielen. Die Hämmer, welche durch die Tasten betätigt wurden, fielen auf unterschiedlich gestimmte Stahlsaiten und entlockten ihnen einen reinen Klang, der blechern und dem Ohr dennoch gefällig war. Laura hatte eine hübsche, glockenhelle Stimme und sang einige Frottole , die gerade so in Mode waren, wobei sie auf dem Virginal sowohl die Begleitung als auch die zweite Stimme spielte.
    Nick lauschte ihr, ließ sich von der Musik verzaubern und sah sich dabei verstohlen in der behaglichen Halle um. Es war ein seltsames Gefühl, wieder zu Hause zu sein. Alles kam ihm vertraut und gleichzeitig fremd vor. Von diesen Menschen hier war sein Vater der einzige, den er im Lauf der letzten zwei Jahre gesehen hatte, denn hin und wieder hatte Lord Waringham seinen alten Freund Thomas More besucht, bei der Gelegenheit nach seinem Sohn gesehen und ihn eingeladen, über Weihnachten oder Ostern heimzukommen. Nick hatte immer Gründe gefunden, um abzulehnen, denn sein Widerwille, seiner Stiefmutter und -schwester zu begegnen, war größer gewesen als sein Heimweh.
    Er wandte langsam den Kopf und blickte zu Louise hinüber. Er war nicht überrascht zu sehen, dass sie ihn unverwandt anstierte; er hatte es schon seit geraumer Zeit gespürt. Mit einer spöttisch gehobenen Braue ergriff er sein Weinglas, hob es ihr entgegen und trank. Dann applaudierte er Laura, die ihr Virginal zuklappte und liebevoll über den Deckel strich.
    »Seit wann hast du das?«, fragte er. »Du spielst großartig.«
    »Es war ein Hochzeitsgeschenk von Philipps Onkel«, antwortete sie, und der verliebte Blick, den sie ihrem Instrument schenkte, brachte Nick zum Lachen.
    Lord Waringham leerte sein Glas. »Das war wundervoll, Laura. Und wie steht es mit dir, Louise? Können wir dich überreden, uns ein paar Verse vorzutragen?« Er gab sich immer Mühe, seine Stieftochter genauso zu behandeln wie seine leiblichen Kinder, und schenkte ihr die gleiche Art von sporadischer, aber herzlicher Aufmerksamkeit. Nick hatte schon oft gerätselt, wie sein Vater in Wahrheit zu Louise stand, doch er hatte nie eine befriedigende Antwort gefunden.
    Brechnuss lehnte glücklicherweise ab. »Heute Abend nicht, Vater, wenn du es nicht übelnimmst. Bloße Verse würden einfach zu spröde klingen nach den herrlichen Klängen dieses Virginals.«
    Ihr Hohn perlte von Jasper ab, weil der ihn einfach nicht bemerkte. »Tja, es ist ein Glück für uns alle, dass wenigstens Philipps Onkel Geld für solch wunderbaren Firlefanz übrig hat.«
    »Ah«, machte Nick. »Das heißt wohl, dass wir den Bergfried vorläufig nicht wieder aufbauen können, richtig?«
    Seine Stiefmutter schnaubte. »Der Bergfried ist die kleinste unserer Sorgen.«
    Nick ignorierte sie. »Wie schlimm hat es ihn erwischt?«
    Lord Waringham schüttelte den Kopf. »Schlimmer, als man von außen sehen kann. Er ist eine Ruine, fürchte ich. Wer weiß, ob er nicht eines Tages einfach in sich zusammenfällt.« Sein Bedauern war unüberhörbar, aber, argwöhnte Nick, nicht so tief wie sein eigener Kummer über diesen Verlust eines so zentralen Teils ihrer Familientradition.
    »Dein Vater hat mit den herabgestürzten Steinen des Eckturms das Fundament für eine neue Brücke im Dorf legen lassen, die alte war nämlich lebensgefährlich«, berichtete Sumpfhexe. »Wenn es nach mir ginge, dürften die Bauern den grässlichen alten Kasten als Steinbruch benutzen und ganz abtragen. Dann könnten wir den Garten vergrößern.«
    Nick biss sich zu spät auf die Zunge. »Aber zum Glück geht es ja nicht nach Euch«, war heraus, ehe er sich hindern konnte.
    Lady Yolandas ohnehin schon schmale Lippen wurden ein dünner Strich. »Kaum zu Hause, schon wieder ganz der

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