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Der dunkle Thron

Der dunkle Thron

Titel: Der dunkle Thron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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gelegentlich in Waringham vorbeigeschaut.
    »Doch weder ihn noch seinen Sohn haben wir hier in den letzten zehn Jahren gesehen«, wandte Bessy ein. »Wahrscheinlich ist er verschollen. Über den Rand der Welt gefallen und von Ungeheuern gefressen worden oder was weiß ich.« Sie schauderte.
    »Die Welt hat keinen Rand«, verbesserte Nick unwillkürlich.
    Mit dem Rührlöffel winkte Bessy ab. »Neumodischer Unsinn«, brummte sie. »Ich weiß, was ich weiß.«
    Nick musste lachen. »Du kannst froh sein, dass dich keiner auf eine Schule geschickt hat, um tausend Dinge in deinen Kopf zu stopfen, die all deine Gewissheiten infrage stellen.«
    »Oh ja«, bemerkte sie mit Inbrunst. »Darüber bin ich allerdings froh. Und jetzt erzählt. Wie war es dort draußen in der großen weiten Welt?«
    »Ziemlich klein und eng«, gestand er. »Sir Thomas hütet seine Schüler besser als eine Mutter Oberin ihre Novizinnen. Bis auf ein paar Bootsausflüge auf der Themse habe ich nichts gesehen als sein Haus und das nicht besonders aufregende Chelsea. Keine fünf Meilen von London entfernt, und doch war ich kein einziges Mal dort.«
    »Gut so«, befand die Köchin. »Da kann ein junger Gentleman nur unter die Räder geraten.«
    Er nickte. »Du musst es ja wissen …« Ellen und Bessy waren ihr ganzes Leben nicht aus Waringham herausgekommen.
    Er stand auf. »Falls irgendwer mich sucht: Ich bin im Dorf.«
    »Aber Frühstück ist gleich fertig«, protestierte Ellen.
    »Nein, vielen Dank.« Im Vorbeigehen stibitzte er ein Stück geröstetes Brot. »Ich frühstücke lieber im Regen als mit Brechnuss und Sumpfhexe.«
    Es war geradezu lächerlich kalt für Juli. Mit eiligen Schritten, um sich aufzuwärmen, verließ Nick die alte Burganlage, ging den Burghügel hinab und folgte dem Pfad, der über den Hügel führte, welchen die Leute »Mönchskopf« nannten. Auf der kahlen Kuppe, der die Anhöhe den Namen verdankte, blieb er stehen und sah sich um. Still und melancholisch lag Waringham unter dem grauen Himmel. Die Schafe standen missmutig zusammengedrängt auf den Weiden und wandten dem ungemütlichen Westwind die Hinterteile zu, als wollten sie damit bekunden, was sie von ihm und dem Wetter, das er brachte, hielten. Der unablässige Regen der letzten Wochen hatte den Tain anschwellen lassen, der eiliger als sonst durch sein schmales Bett strömte und unter der neuen Brücke einherschäumte. Sie war hübsch geworden, stellte Nick befriedigt fest: Breiter als der alte Steg und auf beiden Seiten mit einem Geländer befestigt. Jenseits der baumbestandenen Uferwiese lagen die Kirche und die strohgedeckten Katen von Waringham.
    Nick ging indessen nicht gleich ins Dorf hinab, sondern wandte sich nach rechts. Er musste sich überwinden und seine Füße mit einem bewussten Willensakt zwingen, sich in die Richtung zu bewegen.
    Er fürchte sich vor Pferden, hatte Brechnuss ihm am gestrigen Abend unterstellt – weiß Gott nicht zum ersten Mal. Das Gegenteil war der Fall: Er verstand Pferde weitaus besser als Menschen, und darum fürchtete er sich auch nicht vor ihnen. Was ihm indessen eine Heidenangst einjagte, war die Vorstellung, seine Stiefschwester könnte je herausfinden, dass er die Gabe der Waringham besaß. Sobald sie in Sichtweite war, machte er einen Bogen um jedes Pferd, damit sie nur ja nicht merkte, dass er eine geheimnisvolle Verbindung zu ihnen herstellen, sie mit einem Blick, mit einem Gedanken dazu bewegen konnte, zu tun, was er wollte. Es war diese Gabe, die das Gestüt von Waringham einst groß und berühmt gemacht hatte. Zwei Generationen hatte sie übersprungen, doch kurz nach dem Tod seiner Mutter hatte Nick entdeckt, dass er sie hatte. Niemand hatte ihm erklären müssen, dass man aus solch einem unnatürlichen Talent besser ein Geheimnis machte, weil es Argwohn erwecken konnte. Nicht einmal mit seinem Vater oder seiner Schwester hatte er je darüber gesprochen. Aber trotz der Gefahr, die die Gabe darstellte, hatte er dem Gestüt nie lange fernbleiben können.
    Daran hatte sich nichts geändert, und es war nicht Angst, die seine Schritte verlangsamte, sondern Schmerz über all die leeren Boxen, die windschiefen Zäune und Gatter der Koppeln, die gräulichen, undichten Strohdächer der Gebäude – den Eindruck von Verfall und Niedergang.
    Als Nicks Vater vor rund zehn Jahren in Ungnade gefallen war, hatte der König das Pferde- und Jahrmarktsrecht widerrufen, welches Waringham fast zweihundert Jahre lang besessen hatte. Und der

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