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Der Dunkle Turm 1 - Schwarz

Titel: Der Dunkle Turm 1 - Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: King Stephen
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Entropie, die ihn gefangenhielt, ein schlitternder, heftiger Sprung über den baumelnden Jungen hinweg zum lockenden Licht, der Turm als schwarzes Fresko auf der Netzhaut seines geistigen Auges eingeätzt, plötzliche Stille, die Silhouette verschwunden, sogar sein Herzschlag setzte aus, als sich die Brücke weiter neigte, ihren letzten langsamen Tanz in die Tiefe anfing, sich losriß, seine Hand ertastete den felsigen, erleuchteten Mund der Verdammnis; und hinter ihm sprach der Junge in der gräßlichen Stille zu weit unter ihm.
    »Dann geh. Es gibt andere Welten als diese.«
    Es riß sich von ihm los, das ganze Gewicht; und als er sich zum Licht und dem Wind und der Wirklichkeit seines neues Karmas ( we all shine on ) hinaufzog, drehte er den Kopf zurück und versuchte, in seinem Schmerz einen Augenblick lang Janus zu sein – aber da war nichts, nur abstürzendes Schweigen, denn der Junge gab keinen Laut von sich.
    Dann war er oben und zog die Beine auf den Felsensims, der an der abwärts geneigten Seite Ausblick auf eine grasbewachsene Ebene gewährte, wo der Mann in Schwarz breitbeinig und mit überkreuzten Armen stand.
    Der Revolvermann stand trunken und blaß wie ein Gespenst da, seine Augen waren riesig und schwammen unter der Stirn, sein Hemd war vom weißen Staub seines letzten, verzweifelten Hochziehens verschmutzt. Er dachte daran, daß er vor Mord stets fliehen würde. Er dachte daran, daß vor ihm weitere Entwürdigungen der Seele liegen mochten, gegen die sich diese hier bedeutungslos ausnehmen würde, und dennoch würde er fliehen, Flure entlang und durch Städte, von Bett zu Bett; er würde vor dem Gesicht des Jungen fliehen und versuchen, es in Fotzen oder selbst in weiterer Vernichtung zu begraben, nur um dann einen allerletzten Raum zu betreten, wo es ihn über eine Kerzenflamme hinweg ansehen würde. Er war zu dem Jungen geworden; der Junge war zu ihm geworden. Er war ein Wurderlak , ein selbsterschaffener Werwolf, und in seinen tiefsten Träumen würd er zu dem Jungen werden und in seltsamen Zungen sprechen.
    Dies ist der Tod. Ist er es? Ist er es?
    Er schritt langsam und mit trunkenen Schritten den Hang hinab zu der Stelle, wo der Mann in Schwarz wartete. Hier waren die Schienen unter der Sonne der Vernunft verfallen, und es war, als hätten sie nie existiert.
    Der Mann in Schwarz stieß lachend mit beiden Handrücken die Kapuze zurück.
    »Also!« rief er. »Kein Ende, sondern das Ende des Anfangs, was? Du machst Fortschritte, Revolvermann! Du machst Fortschritte! Oh, wie sehr bewundere ich dich!«
    Der Revolvermann zog mit atemberaubender Geschwindigkeit und feuerte zwölfmal. Das Mündungsfeuer ließ die Sonne selbst verblassen, und das Donnern der Explosionen hallte von den Felsensimsen hinter ihnen wieder.
    »Aber, aber«, sagte der Mann in Schwarz lachend. »Ach, komm schon. Wir beide zusammen, du und ich, können einen großen Zauber wirken. Du wirst mich ebensowenig töten, wie du dich selbst töten wirst.«
    Er zog sich zurück, ging rückwärts, sah den Revolvermann grinsend an. »Komm. Komm. Komm.«
    Der Revolvermann folgte ihm mit seinen durchgelaufenen Stiefeln zum Ort des Gesprächs.

Fünfter Teil
     
     
    Der Revolvermann
und der Mann in Schwarz

1
     
    Der Mann in Schwarz führte ihn zu einem uralten Schlachtfeld, um mit ihm zu reden. Der Revolvermann erkannte es augenblicklich; ein Golgatha, eine Stätte der Schädel. Und gebleichte Totenschädel starrten blicklos zu ihnen empor – Vieh, Kojoten, Wild, Kaninchen. Dort das Alabasterxylophon der Fasanenhenne, die beim Fressen gestorben war; dort die winzigen, zierlichen Knochen eines Maulwurfs, der möglicherweise von einem wilden Hund aus Spaß getötet worden war.
    Dieses Golgatha war ein in den abschüssigen Berghang eingeprägtes Becken, und unten, in zugänglicheren Höhen, konnte der Revolvermann Josuabäume und Krüppelkiefern sehen. Der Himmel über ihm war von einem zarteren Blau, als er es seit zwölf Monden gesehen hatte, und ein undefinierbares Etwas tat kund, daß das Meer in nicht allzu weiter Ferne war.
    Ich bin im Westen, Cuthbert , dachte er verwundert.
    Und selbstverständlich sah er in jedem Totenschädel, in jeder leeren Augenhöhle das Gesicht des Jungen.
    Der Mann in Schwarz saß auf einem alten Klotz aus Eisenholz. Seine Stiefel waren vom weißen Staub und dem unbehaglichen Knochenmehl dieses Ortes gepudert. Er hatte die Kapuze wieder hochgezogen, aber der Revolvermann konnte deutlich die eckige Form

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