Der Dunkle Turm 4 - Glas
Keiner der Bengel einen Tag älter als fünfzehn, und keiner mit einer Schusswaffe. Unfassbar. Jonas hätte es besser als ein Kaspertheater gefunden, wären die Probleme nicht gewesen, die sich ergaben, wenn die Sache nicht bereinigt wurde. Was konnten sie in Hambry schon bewerkstelligen, wenn sich herumsprach, dass die Buhmänner Angst vor den Kindern hatten statt umgekehrt?
Vielleicht könnte man dem Einhalt gebieten, bevor jemand getötet wird. Wenn du willst. Willst du?
Jonas entschied, dass er wollte; sie konnten als Sieger hinausgehen, wenn sie es richtig anstellten. Er entschied auch, dass die Bengel des Bundes Mejis nicht lebend verlassen würden, wenn sie nicht großes Glück hatten.
Wo ist der andere eigentlich? Dieser Dearborn?
Eine gute Frage. Eine wichtige Frage. Aus der peinlichen Situation würde eine regelrechte Demütigung werden, wenn er sich genauso aufs Kreuz legen ließ wie Roy und Clay.
Dearborn befand sich nicht im Saloon, so viel stand fest. Jonas machte auf dem Absatz kehrt und suchte die Hauptstraße in beiden Richtungen ab. Unter dem Kussmond, zwei Tage nach Vollmond, war es fast taghell. Niemand da, nicht auf der Straße, nicht auf der anderen Seite, wo sich der Gemischtwarenladen von Hambry befand. Der Laden hatte eine Veranda, aber auf der befand sich nichts, abgesehen von einer Reihe geschnitzter Totems, die die Wächter des Balkens darstellten: Bär, Schildkröte, Fisch, Adler, Löwe, Fledermaus und Wolf. Sieben von zwölf, hell wie Marmor im Mondschein, und zweifelsohne große Favoriten der Kinderchen. Aber keine Männer da drüben. Gut. Reizend.
Jonas warf einen scharfen Blick in die Gasse zwischen dem Gemischtwarenladen und der Metzgerei, erblickte einen Schatten hinter umgestürzten Kisten, verkrampfte sich kurz, entspannte sich aber wieder, als er die grün leuchtenden Augen einer Katze sah. Er nickte, wandte sich der vor ihm liegenden Aufgabe zu, stieß den linken Flügel der Schwingtür auf und betrat den Traveller’s Rest. Alain hörte das Quietschen eines Scharniers, aber Jonas hielt ihm den Revolver an die Schläfe, ehe er auch nur zum Umdrehen ansetzen konnte.
»Freund, wenn du kein Barbier bist, solltest du diesen Schweinestecher lieber weglegen. Ich sage es nur einmal.«
»Nein«, sagte Alain.
Jonas, der nur mit Gehorsam gerechnet hatte und auf nichts anderes vorbereitet war, war wie vom Donner gerührt. »Was?«
»Sie haben schon verstanden«, sagte Alain. »Ich habe Nein gesagt.«
5
Nachdem sie sich beim Haus Seafront förmlich verabschiedet hatten, hatte Roland seine Freunde deren eigenen Vergnügungen überlassen – er vermutete, dass sie im Traveller’s Rest landen, aber nicht lange bleiben oder großen Ärger bekommen würden, da sie kein Geld zum Spielen hatten und nichts Aufregenderes als kalten Tee trinken durften. Er war auf einem anderen Weg in die Stadt geritten, hatte sein Pferd an einem der Pfosten auf dem unteren der beiden öffentlichen Plätze festgezurrt (Rusher hatte ein einziges kurzes verwundertes Wiehern angesichts dieser Behandlung ausgestoßen, aber sonst nichts) und schlenderte seitdem mit tief ins Gesicht gezogenem Hut und schmerzhaft hinter dem Rücken verschränkten Händen durch die menschenleeren, verschlafenen Straßen.
Unzählige Fragen gingen ihm durch den Kopf – hier stimmte etwas nicht, ganz und gar nicht. Zuerst hatte er geglaubt, dass er es sich nur einbildete, dass der kindliche Teil in ihm eingebildete Verwicklungen und Intrigen wie aus einem Abenteuerroman suchte, weil er aus dem Mittelpunkt des wahren Geschehens entfernt worden war. Aber nach seiner Unterhaltung mit »Rennie« Renfrew wusste er es besser. Es gab unbeantwortete Fragen, regelrechte Geheimnisse, und das Schlimmste war, dass er sich nicht darauf konzentrieren, geschweige denn auch nur den Versuch unternehmen konnte, sie zu verstehen. Jedes Mal, wenn er es versuchte, kam ihm Susan Delgados Gesicht in die Quere… ihr Gesicht, der Schwung ihres Haars oder auch die anmutige, furchtlose Weise, wie ihre Füße in den Seidenschuhen beim Tanz seinen Stiefeln gefolgt waren, ohne einen Schritt zu verpassen oder zu zögern. Immer wieder hörte er seine letzten Worte an sie, die er mit der gestelzten, pedantischen Stimme eines jungen Predigers an sie gerichtet hatte. Er hätte fast alles darum gegeben, den Ton und die Worte selbst zurückzunehmen. Zur Erntezeit würde sie das Bett mit Thorin teilen und ihm ein Kind austragen, ehe der erste Schnee
Weitere Kostenlose Bücher