Der Dunkle Turm 4 - Glas
zusammengezuckt war. Er war um die zwanzig und hatte plötzlich Angst, er würde seine Mutter nie mehr wiedersehen. »Versuch bloß nicht, mir deinen Ärger anzuhängen, verdammter Schwachkopf.«
»Mir ist egal, wie es passiert ist«, sagte Depape. Er merkte, dass er vor Publikum spielte, und wusste genau, dass das Publikum vor allen Dingen unterhalten werden wollte. Sai R. B. Depape, immer ein Sportsmann, wollte ihm den Wunsch erfüllen.
Er kniff über den Knien in den Kordstoff seiner Hose, zog die Hose hoch und ließ die Stiefelspitzen sehen. Sie waren glänzend und nass.
»Schau her! Sieh dir an, was du mir auf die Stiefel geschüttet hast.«
Sheemie sah grinsend und voller Todesangst zu ihm auf.
Stanley Ruiz entschied, dass er das nicht zulassen konnte, ohne wenigstens einen Versuch zu unternehmen, es zu verhindern. Er hatte Dolores Sheemer gekannt, die Mutter des Jungen; es bestand sogar die Möglichkeit, dass er selbst der Vater des Jungen war. So oder so, er mochte Sheemie. Er war schwachsinnig, hatte aber ein goldenes Herz, er trank nie und machte immer seine Arbeit. Außerdem hatte er selbst an den kältesten, nebligsten Wintertagen immer ein Lächeln für einen parat. Das war eine Begabung, die die meisten Menschen mit normaler Intelligenz nicht hatten.
»Sai Depape«, sagte er, kam einen Schritt vorwärts und sprach mit tiefer, respektvoller Stimme. »Es tut mir sehr Leid. Eure Getränke gehen den Rest des Abends auf Kosten des Hauses, wenn wir dafür diesen bedauerlichen Zwischenfall…«
Depapes Bewegung war so schnell, dass man sie kaum sehen konnte, aber das erstaunte die Leute, die sich an diesem Abend im Traveller’s Rest aufhielten, nicht so sehr; sie gingen davon aus, dass ein Mann, der mit Jonas ritt, schnell sein würde. Was sie erstaunte, war die Tatsache, dass er sich nicht einmal umdrehte, um sein Ziel ins Auge zu fassen. Er lokalisierte Stanley allein durch dessen Stimme.
Depape zog seine Waffe und schwenkte sie in einem Aufwärtsbogen nach rechts. Sie traf Stanley Ruiz genau auf den Mund, quetschte seine Lippen und zertrümmerte drei seiner Zähne. Blut spritzte auf den Spiegel hinter dem Tresen; einige Tropfen, die besonders hoch spritzten, verzierten die linke Nase des Wildfangs. Stanley schrie, schlug die Hände vors Gesicht und taumelte gegen das Regal hinter ihm. In der herrschenden Stille klang das Klirren der Flaschen äußerst laut.
Am anderen Ende des Bartresens öffnete Reynolds eine weitere Muschel und beobachtete alles fasziniert. Das Ganze war so gut wie ein Theaterstück.
Depape wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem vor ihm knienden Jungen zu. »Putz mir die Schuhe«, sagte er.
Ein Ausdruck mäßiger Erleichterung kam über Sheemies Gesicht. Die Schuhe putzen! Ja! Jede Wette! Auf der Stelle! Er zog das Tuch heraus, das er immer in der Gesäßtasche mit sich trug. Es war noch nicht einmal schmutzig. Jedenfalls nicht sehr.
»Nein«, sagte Depape geduldig. Sheemie sah mit offenem Mund erstaunt zu ihm auf. »Steck diesen hässlichen Fetzen dahin, wo er hergekommen ist – ich will ihn nicht mal sehen.«
Sheemie steckte das Tuch wieder in die Tasche.
»Leck sie«, sagte Depape mit derselben geduldigen Stimme. »Das ist es, was ich will. Du leckst meine Stiefel, bis sie wieder trocken sind, und so sauber, dass sich dein dummes Kaninchengesicht darin spiegelt.«
Sheemie zögerte, als wäre er sich immer noch nicht ganz sicher, was von ihm erwartet wurde. Vielleicht musste er auch nur das Gesagte gründlich verarbeiten.
»Ich würde es machen, Junge«, sagte Barkie Callahan von seinem, wie er hoffte, sicheren Platz hinter Shebs Klavier. »Wenn du die Sonne noch einmal aufgehen sehen möchtest, würde ich es auf jeden Fall tun.«
Depape hatte bereits beschlossen, dass der Matschkopf keinen Sonnenaufgang mehr sehen würde, jedenfalls nicht in dieser Welt, hielt aber den Mund. Noch nie hatte ihm jemand die Stiefel geleckt. Er wollte wissen, wie man sich dabei fühlte. Wenn es schön war – irgendwie sexy –, konnte er ja vielleicht auch Ihre Hochtrabendheit dazu bewegen.
»Muss ich?« Tränen traten Sheemie in die Augen. »Kann ich nicht nur tut mir Leid und sie richtig toll polieren?«
»Leck, du schwachsinniger Esel«, sagte Depape.
Sheemie fiel das Haar in die Stirn. Er streckte zaghaft die Zunge zwischen den Lippen hervor, und als er den Kopf über Depapes Stiefel beugte, fiel die erste seiner Tränen hinunter.
»Aufhören, aufhören, aufhören«, sagte auf
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