Der Dunkle Turm 4 - Glas
Traveller’s Rest. Roland kam unverzüglich hinter dem Bären hervor, sprang die Stufen hinunter und lief auf die Straße. Er hatte zwar nicht Alains Gabe der Fühlungnahme, aber dennoch Intuitionen, die gelegentlich sehr stark waren. Und eine solche sagte ihm jetzt, dass er sich beeilen musste.
Über ihm verschwand der Kussmond hinter einer Wolke.
6
Pettie das Trampel stand immer noch auf ihrem Hocker, aber sie fühlte sich nicht mehr betrunken und dachte jetzt als Allerletztes ans Singen. Sie konnte kaum glauben, was sie da sah: Jonas hielt einen Jungen in Schach, der Reynolds in Schach hielt, der einen anderen Jungen in Schach hielt (Letzterer trug einen Vogelschädel an einer Kette um den Hals), der Roy Depape in Schach hielt. Der sogar Roy Depapes Hand blutig geschossen hatte. Und als Jonas dem großen Jungen gesagt hatte, dass dieser das Messer weglegen solle, das er Reynolds an die Kehle halte, hatte sich der große Junge geweigert.
Man kann mir das Licht auspusten und mich zur Lichtung am Ende des Pfades schicken, dachte Pettie, jetzt habe ich nämlich alles gesehen, was es auf der Welt zu sehen gibt, das habe ich. Sie überlegte sich, dass sie vom Hocker steigen sollte – wahrscheinlich würde jeden Moment eine Schießerei anfangen, und das nicht zu knapp –, aber manchmal musste man einfach ein Risiko eingehen.
Weil manche Sachen einfach zu gut waren, um sie zu verpassen.
7
»Wir sind in Angelegenheiten des Bundes in dieser Stadt«, sagte Alain. Er hatte eine Hand tief in Reynolds schweißnassem Haar vergraben; mit der anderen übte er konstanten Druck auf das Messer an Reynolds’ Kehle aus. Allerdings noch nicht genug, um die Haut zu ritzen. »Wenn Sie uns etwas antun, wird es dem Bund nicht entgehen. Und unseren Vätern auch nicht. Ob es Ihnen gefällt oder nicht, man würde Sie wie Hunde jagen und mit dem Kopf nach unten aufhängen, wenn man Sie erwischt.«
»Freundchen, es ist keine Patrouille des Bundes im Umkreis von zweihundert Rädern unterwegs, wahrscheinlich nicht einmal im Umkreis von dreihundert«, sagte Jonas, »aber ich würde auch keinen Furz im Sturm darauf geben, wenn eine hinter der nächsten Ecke lauern würde. Und eure Väter sind mir auch piepegal. Leg das Messer hin, oder ich puste dir dein verdammtes Gehirn weg.«
»Nein.«
»Die weitere Entwicklung dieser Lage dürfte sich großartig gestalten«, sagte Cuthbert fröhlich… obwohl man seinem Geplänkel inzwischen die angespannten Nerven anhörte. Keine Angst, vielleicht nicht einmal richtige Nervosität, nur etwas angespannte Nerven. Und wahrscheinlich, dachte Jonas gallig, nicht einmal überstrapazierte. Er hatte diese Jungen einfach unterschätzt; das immerhin stand nun fest. »Sie erschießen Richard, Richard schneidet Mr. Mantel die Kehle durch, während Mr. Mantel mich erschießt und meine armen sterbenden Finger die Schleuder freigeben und eine Stahlkugel durch das jagen, was als Mr. Brillenschlanges Gehirn gelten mag. Sie wenigstens werden unbeschadet davonkommen, und ich nehme an, das wird ein großer Trost für Ihre toten Freunde sein.«
»Nennen wir es ein Unentschieden«, sagte Alain zu dem Mann, der ihm die Waffe an die Schläfe hielt. »Wir ziehen uns alle zurück und gehen unserer Wege.«
»Nein, Freundchen«, sagte Jonas. Seine Stimme klang geduldig, und er glaubte nicht, dass man ihr den Zorn anhörte, aber der Zorn schwoll an. Götter, derart bloßgestellt zu werden, und sei es nur vorübergehend! »Niemand springt so mit den Großen Sargjägern um. Das ist eure letzte Chance, zu…«
Etwas Hartes und Kaltes und völlig Unmissverständliches wurde gegen Jonas’ Hemd gedrückt, mitten zwischen die Schulterblätter. Er wusste sofort, was es war und wem es gehörte, und wusste auch, dass das Spiel verloren war, konnte aber nicht begreifen, wie es zu dieser lächerlichen, ihn rasend machenden Wendung der Ereignisse hatte kommen können.
»Stecken Sie die Waffe weg«, sagte die Stimme hinter der scharfen Metallspitze. Sie klang irgendwie leer – nicht nur ruhig, sondern geradezu emotionslos. »Sofort, sonst bohre ich Ihnen das hier ins Herz. Kein weiteres Wort. Der Worte sind genug gewechselt. Tun Sie’s oder sterben Sie.«
Jonas hörte zweierlei aus dieser Stimme heraus: Jugend und Wahrhaftigkeit. Er steckte die Waffe ein.
»Sie mit dem schwarzen Haar. Nehmen Sie die Waffe aus dem Ohr meines Freundes, und stecken Sie sie ins Holster. Sofort.«
Das musste man Clay Reynolds
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