Der Dunkle Turm 4 - Glas
Tränen. Los campesinos ernten die letzten Reihen fröhlich ab und sprechen von allem, was sie vorhaben, und von den Kapriolen, die sie beim Erntejahrmarkt schlagen wollen, aber sie alle spüren die althergebrachte Traurigkeit des Herbstes im Wind; den Abschied des Jahres. Es fließt ihnen davon wie Wasser in einem Bach, und auch wenn es keiner ausspricht, wissen es alle ganz genau.
Auf den Plantagen werden die letzten und höchsten Äpfel von lachenden jungen Männern gepflückt (in den schon fast stürmischen Böen gehören die letzten Tage des Pflückens ihnen allein), die mit einer Geschwindigkeit hinauf- und hinunterklettern wie Matrosen zwischen Deck und Krähennest. Über ihnen, an einem strahlend blauen, wolkenlosen Himmel, fliegen ganze Schwärme von Wildgänsen nach Süden und lassen ihr raues Adieu erschallen.
Die kleinen Fischerboote sind schon aus dem Wasser gezogen worden; ihre Rümpfe werden von singenden Besitzern, die meist trotz der Kälte mit entblößtem Oberkörper arbeiten, abgekratzt und frisch gestrichen. Sie singen bei der Arbeit die alten Lieder…
I am a man of the bright blue sea,
All I see, all I see,
I am a man of the Barony,
All I see is mine-o!
I am a man of the bright blue bay,
All I say, all I say,
Until my nets are full I stay,
All I say is fine-o!
… und manchmal wird ein kleines Fass Graf von Anlegeplatz zu Anlegeplatz geworfen. In der Bucht selbst bleiben nur die großen Boote und ziehen um die großen Kreise ihrer ausgeworfenen Netze wie Schäferhunde um eine Schafherde. Nachmittags ist die Bucht ein wogendes Leintuch herbstlichen Feuers, und die Männer auf den Booten sitzen im Schneidersitz da, essen ihre Mahlzeiten und wissen, dass alles, was sie sehen, ihnen gehört… zumindest bis die grauen Böen des Herbstes über den Horizont wehen und ihre Ladungen Hagel und Schnee aushusten.
Ausklang, Jahresausklang.
In den Straßen von Hambry brennen inzwischen nachts die Erntelichter, und die Hände der Strohpuppen sind rot bemalt. Überall hängen Erntetalismane, und obwohl die Frauen auf den Straßen und beiden Marktplätzen häufig küssen und geküsst werden – oft von Männern, die sie gar nicht kennen –, kommt es fast nicht mehr zu Geschlechtsverkehr. Er wird (mit einem Knall, könnte man sagen) in der Erntenacht wieder aufgenommen werden. Als Folge davon wird es im darauf folgenden Jahr die übliche Säuglingsernte zur Vollen Erde geben.
Auf der Schräge galoppieren die Pferde ungestüm umher, als würden sie begreifen (was sie wahrscheinlich auch tun), dass ihre Zeit der Freiheit dem Ende naht. Sie drehen sich, bleiben mit dem Gesicht nach Westen stehen, wenn die Böen wehen, und zeigen dem Winter ihren Hintern. Auf den Veranden der Ranches werden die Fliegennetze abgenommen und die Läden wieder eingehängt. In den riesigen Ranch- und kleineren Farmküchen stiehlt niemand Ernteküsse, und niemand denkt auch nur an Sex. Jetzt ist die Zeit des Einmachens und Einlagerns, und in den Küchen wallt Dampf und pulsiert die Hitze von vor der Morgendämmerung bis lange nach Einbruch der Dunkelheit. Der Geruch von Äpfeln und Roter Bete und Bohnen und Scharfwurzeln und Dörrfleisch hängt in der Luft. Die Frauen arbeiten den ganzen Tag ohne Unterlass und gehen abends wie Schlafwandler zu Bett, wo sie bis zum nächsten dunklen Morgen, wenn sie wieder in ihre Küchen zurückkehren müssen, wie Tote daliegen.
Auf öffentlichen Plätzen wird Laub verbrannt, und je deutlicher das Gesicht des Alten Dämons wird, umso häufiger werden Strohpuppen mit roten Händen auf die Scheiterhaufen geworfen. Auf den Feldern lodern die Maishülsen wie Fackeln, und häufig brennen Strohpuppen mit ihnen, deren rote Hände und weiße Kreuzstichaugen in der Hitze wabern. Männer stehen wortlos und mit ernstem Gesicht um die Feuer herum. Niemand will aussprechen, welche schrecklichen alten Götter durch das Verbrennen der Strohpuppen besänftigt werden sollen, aber alle wissen es ganz genau. Von Zeit zu Zeit haucht einer der Männer flüsternd ein Wort: Charyou-Baum.
Sie lassen das Jahr ausklingen, ausklingen, ausklingen.
Kracher knattern in den Straßen – und manchmal ein größerer Kanonenschlag, bei dem selbst die ruhigsten Karrengäule sich aufbäumen –, die vom Lachen der Kinder widerhallen. Auf der Veranda des Gemischtwarenladens und gegenüber vor dem Traveller’s Rest wird geküsst – manchmal feuchte Küsse mit offenem Mund und süßem Zungenschlag –, aber
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