Der Dunkle Turm 4 - Glas
Kopf beiseite, weil ihm der tränentreibende Geruch gelagerten Grafs entgegenschlug.
»Puh!«, sagte er und kippte das erste Fass hinein. »Nur vom Geruch von dem Zeug wird man schon betrunken!«
Er leerte das frische Graf hinein und gab Acht, dass er nichts verschüttete. Als er fertig war, war der Bottich fast voll. Gut so, floss das Apfelbier in der Erntenacht aus den Hähnen in der Küche doch wie Wasser.
Er hievte die leeren Fässer wieder in ihre Halterungen, sah noch einmal in die Küche, ob er beobachtet wurde (was nicht der Fall war; an diesem Morgen verschwendete kein Einziger einen Gedanken an Corals einfältigen Handlanger), und dann führte er Capi nicht etwa den Weg zurück, den er gekommen war, sondern auf einen Pfad, der zu den Lagerschuppen von Seafront führte.
Drei Schuppen standen dort in einer Reihe, und vor jedem befand sich eine Strohpuppe mit roten Händen. Die Kerle schienen Sheemie zu beäugen, und das machte ihm eine Gänsehaut. Dann erinnerte er sich an seinen Ausflug zum Haus der verrückten alten Hexenlady Rhea. Die war Furcht einflößend gewesen. Das waren nur alte Puppen voller Stroh.
»Susan!«, rief er leise. »Bist du da?«
Die Tür des mittleren Schuppens war nur angelehnt. Nun wurde sie ein Stückchen aufgestoßen. »Komm rein!«, rief Susan, ebenfalls leise. »Bring den Esel mit! Beeil dich!«
Er führte Capi in den Schuppen, der nach Stroh und Bohnen und Futter roch… und noch etwas anderem. Etwas Beißendem. Feuerwerkskörper, dachte er. Und Schießpulver.
Susan, die den Morgen mit letzten Anproben verbracht hatte, trug einen dünnen Seidenmantel und hohe Lederstiefel. Ihr Haar war mit bunten blauen und roten Papierschlangen hochgesteckt.
Sheemie kicherte. »Du siehst lustig aus, Susan Patstochter. Zum Kichern, find ich.«
»Ja, ich bin ein Bild für die Götter, das stimmt«, sagte Susan, die geistesabwesend wirkte. »Wir müssen uns beeilen. In spätestens zwanzig Minuten wird man mich vermissen. Sogar früher, wenn dieser geile alte Bock wieder nach mir sucht… Sputen wir uns!«
Sie nahmen die Fässer von Capis Rücken. Susan holte ein zerbrochenes Hufeisen aus einer Tasche ihres Mantels und stemmte mit dem scharfkantigen Ende einen der Deckel hoch. Danach warf sie das Hufeisen Sheemie zu, der daraufhin den anderen aufstemmte. Der Apfeltortengeruch von Graf erfüllte den Schuppen.
»Hier!« Sie warf Sheemie ein weiches Tuch zu. »Trockne es innen ab, so gut du kannst. Es muss nicht lupenrein sein, sie sind verpackt, aber sicher ist sicher.«
Sie wischten die Innenseiten beider Fässer aus, wobei Susan alle paar Sekunden nervöse Blicke zur Tür warf. »Das reicht«, sagte sie. »Gut. Jetzt… es sind zwei Sorten. Bestimmt wird sie niemand vermissen; hier drinnen ist genügend von dem Zeug, um die halbe Welt in die Luft zu sprengen.« Sie lief hastig ins Halbdunkel des Schuppens, hielt dabei den Mantelsaum mit einer Hand hoch und stapfte geräuschvoll mit den Stiefeln. Als sie zurückkam, hatte sie die Arme voller eingewickelter Päckchen.
»Das sind die größeren«, sagte sie.
Sheemie verstaute sie in einem der Fässer. Alles in allem waren es ein Dutzend Päckchen, und er konnte runde Sachen darin spüren, jedes etwa so groß wie eine Kinderfaust. Kanonenschläge. Als er mit Einpacken fertig war und das Fass wieder verankert hatte, kam Susan gerade mit einem Arm voll kleinerer Päckchen zurück. Sie verstauten sie in dem anderen Fass. Offenbar waren das die kleinen, wie es sich anfühlte, die nicht nur knallten, sondern auch buntes Feuer versprühten.
Sie half ihm, die Fässer wieder auf Capis Rücken festzuzurren, warf aber immer wieder hastige Blicke zur Schuppentür. Nachdem die Fässer an Caprichosos Seiten befestigt waren, seufzte Susan erleichtert und strich sich mit dem Handrücken über die verschwitzte Stirn. »Den Göttern sei Dank, dass dieser Teil erledigt ist«, sagte sie. »Weißt du, wohin du sie bringen musst?«
»Aye, Susan Patstochter. Zur Bar K. Mein Freund Arthur Heath übernimmt sie da.«
»Und wenn dich jemand fragt, was du dort zu suchen hast?«
»Bringe ich leckeres Graf zu den Jungs aus Innerwelt, weil sie beschlossen haben, nicht zum Jahrmarkt zu kommen… Warum wollen sie eigentlich nicht, Susan? Mögen sie keine Jahrmärkte?«
»Wirst du bald genug erfahren. Kümmere dich jetzt nicht drum, Sheemie. Geh los – es ist besser, du machst dich auf den Weg.«
Er zögerte noch.
»Was ist?«, sagte sie und bemühte sich dabei,
Weitere Kostenlose Bücher