Der Dunkle Turm 4 - Glas
Gewitterwolken voller Blitze zu sein, wollten jemanden, der sie aufrichten konnte, jemanden, der ihnen sagte, was zu tun sei.
Und natürlich jemanden, den sie auf das Feuer werfen konnten, wie in den Tagen des Eld.
An diesem Punkt, nicht lange nachdem der letzte Ton der Mittagsglocke in der kalten Luft verhallt war, betraten zwei Frauen den Saloon durch die Schwingtür. Viele kannten die Vettel, die voranging, und viele hielten die Daumen vor die Augen, um schielend den bösen Blick abzuwehren. Ein Raunen lief durch den Raum. Es war die vom Cöos, die alte Hexenfrau, und obwohl Schwären ihr Gesicht wie Pocken überzogen und ihre Augen so tief in den Höhlen lagen, dass man sie kaum erkennen konnte, verströmte sie ein eigenartiges Gefühl der Lebenskraft. Ihre Lippen waren rot, als hätte sie Winterbeeren gegessen.
Die Frau hinter ihr ging langsam und steif und presste sich eine Hand auf die Leibesmitte. Ihr Gesicht war so weiß, wie der Mund der Hexenfrau rot war.
Rhea lief zur Mitte des Raums und würdigte die gaffenden Cowboys an den Watch-Me-Tischen keines Blickes. Als sie die Mitte des Tresens erreicht hatte und unmittelbar unter dem Blick des Wildfangs stand, drehte sie sich um und betrachtete die stummen Viehtreiber und Stadtbewohner.
»Die meisten von euch kennen mich!«, rief sie mit einer krächzenden, fast schneidenden Stimme. »Für diejenigen von euch, die nie Liebestropfen gebraucht haben, nie den alten Rammbock wieder auf Vordermann bringen lassen mussten und nie der zänkischen Zunge ihrer keifenden Schwiegermutter überdrüssig wurden: Ich bin Rhea, die weise Frau vom Cöos, und diese Lady an meiner Seite ist die Tante des Mädchens, das gestern Abend die Mörder befreit hat… dasselbe Mädchen, das den Sheriff der Stadt und einen braven jungen Mann erschossen hat – verheiratet war er, ein Kind unterwegs. Er stand schutzlos und mit erhobenen Händen vor ihr und flehte um seiner Frau und seines ungeborenen Kindes willen um sein Leben, und trotzdem hat sie ihn erschossen! Grausam, das ist sie! Grausam und herzlos!«
Ein Murren lief durch die Menge. Rhea hob ihre gichtigen alten Klauen, woraufhin es sofort verstummte. Sie drehte sich langsam, mit nach wie vor erhobenen Händen im Kreis, damit sie alle ansehen konnten, und wirkte wie der älteste, hässlichste Preisboxer der Welt.
»Fremde sind gekommen, und ihr habt sie willkommen geheißen!«, rief sie mit ihrer krächzenden Krähenstimme. »Willkommen geheißen und ihnen Brot zu essen gegeben, und mit Tod und Verderben haben sie es euch vergolten! Der Tod der Menschen, die ihr geliebt und auf die ihr euch verlassen habt; das Verderben der Erntezeit, und die Götter mögen wissen, welche Verwünschungen auf die Zeit im Anschluss an das fin de año!«
Wieder Murren, diesmal lauter. Sie hatte ihre schlimmsten Befürchtungen angesprochen: dass sich das diesjährige Übel ausbreiten, vielleicht sogar das neue Zuchtvieh mit guter Erblinie verderben konnte, das so langsam und hoffnungsvoll wieder im Äußeren Bogen zum Vorschein kam.
»Aber sie sind fort und werden wahrscheinlich nicht zurückkommen!«, fuhr Rhea fort. »Vielleicht ist es das Beste so – warum sollte ihr fremdes Blut unseren Boden besudeln? Aber da ist diese andere… in unserer Mitte aufgewachsen… eine junge Frau, die zur Verräterin an ihrer Stadt und zur Einzelgängerin unter dem eigenen Volk geworden ist.«
Bei diesem letzten Satz senkte sie die Stimme zu einem heiseren Flüstern; ihre Zuhörer beugten sich mit grimmigen Gesichtern und großen Augen nach vorn, damit sie sie besser hören konnten. Und nun zog Rhea die bleiche, dünne Frau in dem staubigen schwarzen Kleid vorwärts. Sie stellte Cordelia vor sich wie eine Puppe oder die Marionette eines Bauchredners, und flüsterte ihr ins Ohr… aber das Flüstern war irgendwie laut genug; sie hörten es alle.
»Kommt, Teuerste. Erzählt ihnen, was Ihr mir erzählt habt.«
Mit einer leblosen, tragenden Stimme sagte Cordelia: »Sie hat gesagt, sie wollte nicht das Feinsliebchen des Bürgermeisters sein. Er wäre nicht gut genug für jemanden wie sie, hat sie gesagt. Und dann hat sie Will Dearborn verführt. Der Preis für ihren Körper war eine hohe Stellung in Gilead als seine Gemahlin… und die Ermordung von Hart Thorin. Dearborn hat ihren Preis bezahlt. So lüstern, wie er nach ihr war, hat er ihn mit Freuden bezahlt. Seine Freunde haben ihm dabei geholfen; es ist nicht ausgeschlossen, dass auch die beiden anderen sie
Weitere Kostenlose Bücher