Der Dunkle Turm 4 - Glas
musste, wie Aale manchmal zu grinsen schienen, nach dem Tod und kurz vor dem Kochtopf. »Aye, aber der ist tot, seit fünf Jahren tot, Pat Delgado mit dem roten Haar und Bart, sein eigenes Pferd hat das Leben aus ihm rausgetrampelt, aye, und er ist zur Lichtung am Ende des Pfades gegangen mit der Musik der eigenen brechenden Knochen in den Ohren, das ist er!«
Das nervöse Lächeln verschwand von Susans Gesicht, als wäre es weggeohrfeigt worden. Sie spürte Tränen, die niemals fern waren, wenn der Name ihres Da's auch nur erwähnt wurde, hinter ihren Augen brennen. Aber sie würde sie nicht herauskullern lassen. Nicht vor den Augen dieser herzlosen alten Krähe, auf keinen Fall.
»Kommen wir zum Geschäft, und bringen wir es rasch hinter uns«, sagte sie mit einer trockenen Stimme, die ganz anders als sonst klang; diese Stimme war normalerweise fröhlich und heiter und zu allen Späßen bereit. Aber sie war Pat Delgados Kind, die Tochter des besten Herdenführers, der jemals an der Westlichen Schräge gearbeitet hatte, und sie erinnerte sich sehr gut an sein Gesicht; falls erforderlich, konnte sie eine stärkere Natur entwickeln, und im Augenblick schien das eindeutig der Fall zu sein. Die alte Frau wollte so tief kratzen, wie sie nur konnte, und je mehr sie sah, dass ihre Versuche von Erfolg gekrönt wurden, desto hartnäckiger würde sie weitere anstellen.
Unterdessen beobachtete die Vettel Susan verschlagen, die knotigen Hände in die Hüften gestemmt, während ihre Katze ihr um die Knöchel strich. Ihre Augen trieften, aber Susan sah sie dennoch deutlich genug, um zu erkennen, dass sie dieselbe graugrüne Farbe wie die Augen der Katze hatten, und sich zu fragen, was für ein Zauber wohl dafür verantwortlich sein mochte. Sie verspürte einen Drang – fast überwältigend –, den Blick zu senken, gab ihm aber nicht nach. Es war in Ordnung, Furcht zu empfinden, aber manchmal sehr schlecht, es sich anmerken zu lassen.
»Du schaust mich schnippisch an, Missy«, sagte Rhea schließlich. Ihr Lächeln löste sich allmählich zu einem beleidigten Stirnrunzeln auf.
»Nay, alte Mutter«, erwiderte Susan gelassen. »Nur wie eine, die erledigen möchte, weshalb sie gekommen ist, damit sie wieder gehen kann. Ich bin auf Wunsch meines Herrn, des Bürgermeisters von Mejis, hergekommen, und auf den meiner Tante Cordelia, der Schwester meines Vaters. Meines geliebten Vaters, über den ich keine bösen Worte hören möchte.«
»Ich spreche, wie ich es gewohnt bin«, sagte die alte Frau. Die Worte klangen wegwerfend, aber die Stimme der Vettel drückte eine Andeutung von schmeichelnder Unterwürfigkeit aus. Susan maß dem keine besondere Bedeutung bei; es war ein Ton, den ein Weib wie dieses wahrscheinlich ihr Leben lang angenommen hatte und der ihr so sehr zur Gewohnheit wurde wie das Atmen. »Ich habe lange Zeit allein gelebt, mit keiner Herrin außer mir selbst, und wenn sie erst einmal angefangen hat, macht meine Zunge, was sie will.«
»Dann wäre es vielleicht manchmal besser, sie gar nicht erst anfangen zu lassen.«
Die Augen der alten Frau blitzten hässlich auf. »Hüte deine eigene, freches Ding, sonst findest du sie vielleicht einmal tot in deinem Mund, wo sie verrotten wird, sodass der Bürgermeister es sich zweimal überlegt, dich zu küssen, wenn er ihren Gestank riecht, aye, selbst unter einem Mond wie dem jetzigen!«
Elend und Bestürzung erfüllten Susans Herz. Sie war nur mit einem im Sinn hierher gekommen: die Angelegenheit so schnell wie möglich hinter sich zu bringen, einen kaum erklärten Ritus, der wahrscheinlich schmerzhaft und mit Sicherheit beschämend war. Nun sah diese alte Frau sie mit offensichtlichem und nacktem Hass an. Wie hatte alles nur so schnell schief gehen können? Oder war es mit Hexen immer so?
»Wir haben einen schlechten Start erwischt, Herrin – können wir noch einmal anfangen?«, fragte Susan plötzlich und streckte die Hand aus.
Die Vettel sah verblüfft drein, aber sie streckte die Hand aus und stellte einen kurzen Kontakt her, wobei ihre runzligen Fingerspitzen die Finger des sechzehnjährigen Mädchens mit den kurz geschnittenen Nägeln berührten, das mit reinem Gesicht und auf dem Rücken zu einem Zopf geflochtenen langen Haar vor ihr stand. Susan musste sich sehr anstrengen, bei der Berührung nicht das Gesicht zu verziehen, so kurz sie auch war. Die Finger der alten Frau waren kalt wie die einer Toten, aber Susan hatte früher schon kalte Hände berührt
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