Der Dunkle Turm 4 - Glas
Schlagen eines zufriedenen Herzens.
»O meine Schönheit«, murmelte sie und nahm die Kugel heraus. Sie hielt sie vor sich; ließ das pulsierende Leuchten auf ihr Gesicht fallen wie Regen. »Oh, du lebst, das tust du!«
Plötzlich wandelte sich die Farbe in der Kugel zu einem dunklen Scharlachrot. Rhea spürte eine Vibration in den Händen, wie von einem unvorstellbar starken Motor erzeugt, und erneut spürte sie diese erstaunliche Nässe zwischen den Beinen, dieses Ziehen der Gezeiten, das sie schon längst hinter sich gewähnt hatte.
Dann hörte die Vibration auf, und das Licht in der Kugel schien sich wie Blütenblätter zu entfalten. An seine Stelle trat ein rosafarbener Schimmer… aus dem drei Reiter herauskamen. Zuerst dachte sie, es wären die Männer, die ihr die Glaskugel gebracht hatten – Jonas und die anderen. Aber nein, diese waren jünger, sogar jünger als Depape, der etwa fünfundzwanzig war. Der auf der linken Seite des Trios schien einen Vogelschädel am Knauf seines Sattels befestigt zu haben – seltsam, aber wahr.
Dann verschwanden er und der auf der rechten Seite, als die Macht der Glaskugel sie irgendwie ausblendete, und nur derjenige in der Mitte blieb zurück. Sie bemerkte die Jeans und Stiefel, die er trug, den flachen Hut, der seine obere Gesichtshälfte verbarg, die Anmut, mit der er auf dem Pferd saß, und ihr erster alarmierender Gedanke war: Revolvermann! Aus dem Osten, von den Inneren Baronien, aye, vielleicht aus Gilead selbst! Aber sie musste die obere Gesichtshälfte des Reiters nicht sehen, um zu erkennen, dass er wenig mehr als ein Kind war und keine Waffen an den Hüften trug. Und doch glaubte sie nicht, dass der Junge unbewaffnet kam. Wenn sie nur ein wenig besser sehen könnte…
Sie hielt die Glaskugel fast an ihre Nasenspitze und flüsterte: »Näher, Liebchen! Noch näher!«
Sie wusste nicht, was sie zu erwarten hatte – höchstwahrscheinlich gar nichts –, aber die Gestalt in dem dunklen Glasrund kam tatsächlich näher. Schwamm fast näher, wie ein Pferd mit Reiter unter Wasser, und sie sah einen Köcher mit Pfeilen auf seinem Rücken. Vor ihm, am Knauf seines Sattels, hing kein Vogelschädel, sondern ein Kurzbogen. Und auf der rechten Seite des Sattels, wo ein Revolvermann vielleicht ein Gewehr in einer Lederscheide getragen haben würde, ragte der federgeschmückte Schaft einer Lanze auf. Er gehörte nicht zum Alten Volk, so sah sein Gesicht nicht aus… aber sie glaubte auch nicht, dass er vom Äußeren Bogen stammte.
»Aber wer bist du, Herzblatt!«, hauchte sie. »Und wie soll ich dich erkennen? Hast den Hut so weit runtergezogen, dass ich deine göttererbärmlichen Augen nicht sehen kann, das hast du! An deinem Pferd vielleicht… oder vielleicht an deinem… Geh weg, Musty! Warum behelligst du mich so? Arrr!«
Die Katze war von ihrem Aussichtspunkt zurückgekehrt, wand sich zwischen den geschwollenen alten Knöcheln der Frau und maunzte mit einer Stimme zu ihr auf, die noch rostiger als ihr Schnurren klang. Als die alte Frau nach ihm trat, wich Musty behände aus… kam aber unverzüglich zurück, fing wieder an, sah mit Mondscheinaugen zu ihr auf und gab das leise Maunzen von sich.
Rhea trat wieder nach ihr, diesmal so wirkungslos wie beim ersten Mal, dann sah sie wieder in die Glaskugel. Das Pferd und sein interessanter junger Reiter waren verschwunden. Ebenso das rosa Licht. Sie hielt nur noch eine tote Glaskugel in der Hand, deren einziges Licht in einer Spiegelung des Mondes bestand.
Der Wind wehte böig und drückte ihr Kleid an die Ruine ihres Leibes. Musty ließ sich von den schwächlichen Tritten seiner Herrin nicht beeindrucken, kam wieder näher und strich ihr erneut um die Knöchel, wobei er die ganze Zeit über miaute.
»Da siehst du, was du getan hast, du garstiger Floh- und Krankheitsträger! Das Licht ist erloschen, es ist gerade da erloschen, wo ich…«
Dann hörte sie ein Geräusch von dem Feldweg her, der zu ihrer Hütte führte, und verstand, warum Musty sich so aufgeführt hatte. Sie hörte Gesang. Sie hörte das Mädchen. Das Mädchen kam zu früh.
Sie verzog das Gesicht zu einer grässlichen Fratze – sie hasste es, überrascht zu werden, und das kleine Fräulein da unten würde dafür bezahlen –, bückte sich und legte die Glaskugel wieder in das Kästchen. Das Innere war mit Seide ausgeschlagen, und die Kugel passte so angegossen hinein wie das Frühstücksei in Seiner Lordschaft Eierbecher. Und von unten (der verfluchte
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