Der Dunkle Turm 4 - Glas
Musty auf, meinen kleinen Süßen! Ein Schelm, das ist er! Und ein Tollpatsch manchmal auch, das ist er! Hihi!« Und dann prustete sie wieder vor Lachen.
Der Kater sah mit angelegten Ohren und aufgerissenen grau-grünen Augen zu Susan auf. Er fauchte sie an. Und Susan, der kaum bewusst war, was sie tat, fauchte zurück. Mustys überraschter Ausdruck war auf unheimliche – und in diesem Fall auf komische – Weise menschenähnlich, genau wie sein Ausdruck der Verachtung zuvor. Er wirbelte herum und floh mit zuckendem gespaltenem Schwanz in Rheas Schlafzimmer. Susan machte die Tür auf und ging nach draußen, um Holz zu holen. Ihr war bereits, als wäre sie schon tausend Jahre hier und als könnte es noch einmal tausend dauern, bis sie wieder nach Hause durfte.
4
Die Luft war so angenehm, wie sie gehofft hatte, vielleicht sogar noch angenehmer, und einen Augenblick lang stand sie nur auf der Veranda, atmete ein und versuchte, ihre Lunge zu säubern… und ihren Geist.
Nach fünf kräftigen Atemzügen setzte sie sich in Bewegung. Sie ging um das Haus herum, aber anscheinend war es die falsche Seite, weil sich dort kein Holzstoß befand. Es gab indessen den schmalen Abklatsch eines Fensters, halb vergraben unter einer zähen und unschönen Kletterpflanze. Es befand sich am hinteren Teil der Hütte und musste zur Schlafkammer der alten Frau gehören.
Sieh da nicht hinein! Was sie unter dem Bett hat, geht dich nichts an, und wenn sie dich erwischt…
Sie ging trotz dieser Ermahnung zum Fenster und sah hinein.
Es war unwahrscheinlich, dass Rhea das Gesicht von Susan durch das dichte Gestrüpp des Efeus hätte sehen können, selbst wenn der alte Besen in die Richtung geblickt hätte, und das tat sie nicht. Sie lag auf den Knien, hatte die Kordel des Beutels zwischen den Zähnen und streckte eine Hand unter das Bett.
Sie zog ein Kästchen hervor und klappte den Deckel auf, der ohnedies schon leicht offen stand. Sanfter rosa Glanz überstrahlte ihr Gesicht, und Susan schnappte nach Luft. Einen Augenblick lang war es das Gesicht eines jungen Mädchens – aber eines, das ebenso von Grausamkeit wie von Jugend bestimmt war, das Gesicht eines eigensinnigen Kindes, das beschlossen hatte, alle falschen Dinge aus allen falschen Gründen zu lernen. Womöglich das Gesicht des Mädchens, das diese Vettel einmal gewesen war. Das Licht schien von einer Art Glaskugel auszugehen.
Die alte Frau betrachtete sie mehrere Augenblicke mit großen und faszinierten Augen. Sie bewegte die Lippen, als würde sie mit der Kugel sprechen oder ihr gar etwas vorsingen; der kleine Beutel, den Susan aus der Stadt mitgebracht hatte und dessen Kordel die Hexe immer noch im Mund hatte, tanzte auf und ab, während sie sprach. Dann schien sie das Kästchen unter großer Willensanstrengung zuzumachen, und das rosa Licht erlosch. Susan stellte fest, dass sie erleichtert war – etwas an dem Licht gefiel ihr ganz und gar nicht.
Die alte Frau hielt eine hohle Hand über das silberne Schloss in der Mitte des Deckels, worauf kurz scharlachrotes Licht zwischen ihren Fingern aufblitzte. Das alles, während ihr der Beutel an der Kordel immer noch aus dem Mund hing. Dann stellte sie das Kästchen auf das Bett, kniete nieder und strich mit den Händen unmittelbar unterhalb der Bettkante über den Erdboden. Obwohl sie nur mit den Händen darüberstrich, tauchten dort Linien auf, so als hätte sie ein Werkzeug zum Zeichnen benutzt. Diese Linien wurden dunkler, bis sie wie Rillen aussahen.
Das Holz, Susan! Geh das Holz holen, bevor ihr klar wird, wie lange du weg warst! Um deines Vaters willen!
Susan zog ihren Rock bis zur Taille hoch – sie wollte nicht, dass die alte Frau etwa Erde oder Blätter an ihrer Kleidung sah, wenn sie wieder in die Hütte kam, wollte keine Fragen beantworten, die der Anblick solcher Spuren aufwerfen könnte – und schlich mit im Mondschein weiß leuchtender Baumwollunterwäsche unter dem Fenster vorbei. Als sie es hinter sich gelassen hatte, richtete sie sich wieder auf und lief lautlos zur anderen Seite der Hütte. Hier fand sie den Holzstoß unter einem alten Fell, das nach Schimmel roch. Sie nahm ein halbes Dutzend recht große Scheite und ging mit ihnen auf den Armen wieder zur Vorderseite des Hauses.
Als sie eintrat, wobei sie sich zur Seite drehte, damit sie mit ihrer Last durch die Tür kam, ohne etwas fallen zu lassen, hielt sich die alte Frau wieder im vorderen Zimmer auf und sah verdrießlich ins Kaminfeuer,
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