Der Dunkle Turm 7 - Der Turm
aber das wäre unhöflich.« Dahinter steckte jedoch noch mehr. Jake konnte sich verschwommen an eine Geschichte aus der Bibel erinnern, eine über Noah, der sich in der Arche die Kante gegeben hatte, während seine Söhne und er darauf warteten, dass die Sintflut sich verlief. Einer der Söhne war auf den Alten gestoßen, der betrunken in seiner Koje lag, und hatte ihn verlacht. Dafür hatte Gott den Sohn verflucht. Einen Blick in Rolands Gedanken zu werfen war nicht das Gleiche, wie ihn anzusehen – und ihn zu verlachen –, während er betrunken war, aber es kam nahe heran.
»Du bist ein guter Junge«, sagte Roland. »Brav und gut, aye.« Und obwohl der Revolvermann fast geistesabwesend gesprochen hatte, hätte Jake in diesem Augenblick glücklich und zufrieden sterben können. Irgendwo in weiter Ferne über ihnen ertönte das hallende Klick!, und gleichzeitig flammte die Spezialeffekte-Sonne über dem Devar-Toi wieder auf. Im nächsten Augenblick hörten sie leise Musik heraufschallen: »Hey Jude«, arrangiert für Aufzug und Supermarkt. Für die dort unten hieß es jetzt: Raus aus den Federn! Soeben war ein weiterer Brechertag angebrochen. Jake vermutete allerdings, dass das Brechen dort unten zu keinem Zeitpunkt richtig unterbrochen wurde.
»Komm, wir spielen ein Spiel, du und ich«, sagte Roland. »Du versuchst, in meinen Kopf einzudringen und zu erkennen, auf wen ich zornig bin. Ich versuche, dich daran zu hindern.«
Jake veränderte seine Haltung leicht. »Das klingt nicht nach einem lustigen Spiel, finde ich, Roland.«
»Trotzdem möchte ich’s gern gegen dich spielen.«
»Also gut, wie du willst.«
Jake schloss die Augen und rief ein Bild von Rolands müdem, stoppelbärtigem Gesicht auf. Seine leuchtenden blauen Augen. Er stellte sich eine Tür zwischen und etwas oberhalb dieser Augen vor – eine kleine Tür mit einem Messingknopf – und versuchte sie dann zu öffnen. Der Knopf ließ sich kurz drehen. Als er sich nicht weiterdrehte, verstärkte Jake seine Kraft. Der Knopf drehte sich erneut, wurde dann aber wieder abgebremst. Jake öffnete die Augen und sah auf Rolands Stirn kleine Schweißperlen stehen.
»Das ist blöd«, sagte er. »Ich mache deine Kopfschmerzen schlimmer.«
»Egal. Tu dein Bestes.«
Mein Schlimmstes, dachte Jake. Wenn sie dieses Spiel schon spielen mussten, wollte er es nicht unnötig verlängern. Er schloss wieder die Augen und sah sofort wieder die Tür über Rolands buschigen Augenbrauen. Diesmal gebrauchte er mehr Kraft, die er zudem rasch verstärkte. Das Ganze fühlte sich ein bisschen wie Armdrücken an. Im nächsten Augenblick drehte der Knopf sich, und die Tür ging auf. Roland grunzte, dann stieß er ein schmerzhaftes Lachen aus. »Das reicht mir«, sagte er. »Bei den Göttern, du bist stark!«
Jake achtete nicht darauf. Er machte die Augen auf. »Der Schriftsteller? King? Warum bist du auf ihn zornig?«
Roland seufzte und warf seine schwelende Zigarettenkippe weg; Jake war mit seiner schon fertig. »Weil wir zwei Aufgaben haben, wo wir nur eine haben sollten. Dass wir die zweite bewältigen müssen, ist Sai Kings Schuld. Er wusste, was er zu tun hatte, und ich glaube, dass er auf irgendeiner Ebene auch gewusst hat, dass ihm dann nichts geschehen würde. Aber er war ängstlich. Er war müde.« Roland s Oberlippe kräuselte sich. »Jetzt liegen seine Kastanien im Feuer, und wir müssen sie für ihn rausholen. Dafür werden wir bezahlen müssen, und zwar ziemlich.«
»Du bist zornig auf ihn, weil er ängstlich ist? Aber …« Jake runzelte die Stirn. »Warum sollte er das nicht sein dürfen? Er ist nur ein Schriftsteller. Ein Wörterschmied, kein Revolvermann.«
»Das weiß ich«, sagte Roland, »aber ich glaube nicht, dass er aus Angst aufgehört hat, Jake, oder nur aus Angst. Er ist auch faul. Das habe ich gespürt, als ich ihm begegnet bin, und Eddie hat das sicher auch gemerkt. Er hat sich die Arbeit angesehen, die ihm aufgetragen worden war, und sie hat ihn entmutigt, und da hat er sich gesagt: ›Na gut, ich suche mir einen leichteren Job, einen, der mir besser gefällt und meinen Fähigkeiten besser entspricht. Sie werden sich meiner annehmen müssen.‹ Und das tun wir jetzt ja auch.«
»Du hast ihn nicht gemocht.«
»Nein«, sagte Roland, »das habe ich nicht. Kein bisschen. Ich habe ihm auch nicht getraut. Ich habe schon früher Wörterschmiede kennen gelernt, Jake, und sie sind alle mehr oder weniger aus demselben Holz geschnitzt. Sie erzählen
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