Der Dunkle Turm 7 - Der Turm
Geschichten, weil sie sich vor dem Leben fürchten.«
»Sagst du das?« Jake hielt das für eine bedrückende Vorstellung. Er fand aber auch, dass sie irgendwie wahr klang.
»Das tue ich. Aber …« Roland zuckte die Achseln. So sind sie nun mal, besagte dieses Schulterzucken.
Ka-Shume, dachte Jake. Wenn ihr Ka-Tet durch Kings Schuld zerbrach …
Wenn das Kings Schuld war, was dann? Sollten sie sich an ihm rächen? Das war die Überlegung eines Revolvermanns; es war aber auch ein dummer Gedanke, so dumm wie die Idee, sich an Gott rächen zu wollen.
»Aber wir haben ihn am Hals«, ergänzte Jake.
»Aye. Trotzdem würde mich das nicht daran hindern, ihn in seinen feigen, faulen Hintern zu treten, wenn ich Gelegenheit dazu hätte.«
Darüber musste Jake schallend lachen, und der Revolvermann lächelte. Dann stand Roland mit schmerzhaft verzerrtem Gesicht auf, wobei er beide Hände aufs rechte Hüftgelenk presste. »Verdammt«, knurrte er.
»Tut scheußlich weh, was?«
»Reden wir nicht von meinen kleinen Wehwehchen. Komm mit, dann zeige ich dir etwas Interessanteres.«
Roland führte Jake leicht hinkend zu einer Stelle, wo der Pfad sich – vermutlich auf dem Weg zum Gipfel – um die Flanke des Fußes der Kleinen Nadel schlängelte. Dort wollte der Revolvermann wieder in die Hocke gehen, verzog aber das Gesicht und ließ sich stattdessen auf ein Knie nieder. Er wies mit der rechten Hand zu Boden. »Was siehst du hier?«
Auch Jake ließ sich auf ein Knie nieder. Der Boden war mit Geröll und kleinen Felsbrocken übersät. Hier und da war der Gesteinsschutt aus seiner Lage gebracht worden, sodass sich schwache Spuren auf dem Geröllfeld abzeichneten. Jenseits der Stelle, an der sie knieten, waren zwei Zweige eines Busches, den Jake für einen Mesquitebusch hielt, abgeknickt. Als er sich nach vorn beugte, roch er den schwachen, stechenden Duft des Pflanzensafts. Dann begutachtete er nochmals die Spuren im Geröll. Es gab mehrere, die schmal und nicht allzu tief waren. Wenn es sich hier um eine Fährte handelte, stammte sie bestimmt nicht von einem Menschen. Aber auch nicht von einem Wüstenhund.
»Weißt du, von wem die Spuren sind?«, fragte Jake. »Dann sag’s einfach, bevor ich es durch Armdrücken aus dir rausholen muss.«
Roland grinste flüchtig. »Geh ihnen ein Stück weit nach. Sieh zu, was du finden kannst.«
Jake stand auf, folgte langsam der Fährte und ging dabei vornübergebeugt wie ein Junge, der schlimmes Bauchweh hatte. Die Spuren im Gesteinsschutt führten um einen Felsblock herum. Auf dem Felsen lag Staub, in dem sich Kratzer abzeichneten, als hätte etwas Borstiges im Vorbeigehen den Felsblock gestreift.
Außerdem fanden sich dort einige schwarze Haarborsten.
Jake griff nach einer davon, öffnete dann aber sofort wieder die Finger und blies die Borste von seiner Haut, während er sich vor Ekel schüttelte. Roland beobachtete das alles aufmerksam.
»Du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen.«
»Das war abscheulich!« Jake hörte sich leicht stottern. »O Gott, was war das? W-w-was hat hier gelauert?«
»Der eine, den Mia Mordred genannt hat.« Rolands Stimme klang unverändert, aber Jake merkte, dass er sich kaum dazu überwinden konnte, dem Revolvermann in die Augen zu sehen; so düster war ihr Blick. »Der kleine Kerl, den ich gezeugt haben soll.«
»Er war hier? In der Nacht?«
Roland nickte.
»Und hat uns belauscht, unser …?« Jake konnte den Satz nicht zu Ende bringen.
Roland tat es an seiner Stelle. »Er hat unser Palaver und unsere Pläne belauscht, aye, das glaube ich. Und auch Teds Erzählung.«
»Aber du weißt es nicht bestimmt. Die Spuren könnten von allen möglichen Tieren stammen.« Trotzdem konnte Jake, seit er Susannahs Geschichte gehört hatte, im Zusammenhang mit dieser Fährte nur an eine Spinne denken. An die Beine einer Monsterspinne.
»Geh ein Stück weiter«, sagte Roland.
Jake sah ihn fragend an, und Roland nickte aufmunternd. Der Wind wehte, trug anspruchslose Hintergrundmusik aus dem Gefängniskomplex zu ihnen herauf (jetzt glaubte er »Bridge Over Troubled Water« zu erkennen) und brachte zugleich fernen Donner mit, der wie rollende Knochen klang.
»Was …«
»Geh ihnen nach«, sagte Roland und nickte den mit losem Geröll bedeckten Pfad entlang.
Jake tat wie geheißen. Er wusste, dass es sich hier um eine weitere Lektion handelte – bei Roland war man immer in der Schule. Selbst wenn man im Schatten des Todes stand, gab es noch
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