Der Dunkle Turm 7 - Der Turm
einen, mit dem sie mehr als einen der weißen Jungs, die ihr bei ihren Raubzügen durch Straßenkneipen zum Opfer gefallen waren, verblüfft hatte. Sie verzog in der Dunkelheit das Gesicht, fletschte die Zähne und drückte den Streichholzkopf von unten gegen die beiden mittleren oberen Schneidezähne. Eddie, falls du da bist, hilf mir, Liebster – hilf mir, nicht zu versagen.
Sie riss das Zündholz an. Die Stichflamme versengte ihr den Gaumen, und sie hatte sofort Schwefelgeschmack auf der Zunge. Der brennende Streichholzkopf blendete ihre an die Dunkelheit angepassten Augen, aber sie sah trotzdem genug, um ihn an den mit Brennstoff überzogenen Stab der Lampe zu halten. Das Sterno fing sofort Feuer und verwandelte die Stablampe in eine Fackel. Ihr Lichtschein war nicht besonders hell, aber immerhin etwas.
»Umdrehen!«, rief sie.
Roland kam sofort schlitternd zum Stehen – ohne Fragen, ohne Protest – und warf sich herum. Als sie die Hand mit der brennenden Stablampe ausstreckte, sahen sie beide sekundenlang den feuchten, mit zahlreichen rosa Albinoaugen versehenen Kopf. Darunter befand sich ein Maul von der Größe einer Falltür, das mit sich windenden Tentakeln angefüllt war. Das Sterno brannte zwar nicht sonderlich hell, aber in diesem stygischen Dunkel reichte diese Helligkeit aus, um das Wesen zurückschrecken zu lassen. Bevor es wieder in der Dunkelheit verschwand, sah Susannah noch, wie alle diese Augen sich krampfhaft schlossen, und überlegte sich, wie lichtempfindlich sie wohl sein mussten, wenn schon diese kleine flackernde Flamme sie …
Der unterirdische Gang war hier auf beiden Seiten von unordentlich aufgetürmten Knochenhaufen gesäumt. Das verbreiterte Ende der Stablampe, wo die Birne saß und das Susannah als Griff verwendete, wurde bereits warm. Oy, der mit gesenktem Kopf, gesträubtem Fell und gespreizten kurzen Beinen dastand, kläffte hektisch, während er ins Dunkel starrte.
»In die Hocke, Roland, in die Hocke!«
Er gehorchte, und sie reichte ihm die improvisierte Fackel, die inzwischen bereits schwächer brannte, wobei die über den Edelstahlstab laufenden gelben Flammen bläulich wurden. Das Lebewesen brüllte wieder ohrenbetäubend laut, und jetzt konnte Susannah auch dessen wogende Umrisse wieder erkennen. Weil das Licht schwächer wurde, kam es wieder angekrochen.
Wenn der Boden hier nass ist, sind wir höchstwahrscheinlich erledigt, dachte sie, aber während sie in dem Skeletthaufen nach einem Oberschenkelknochen tastete, stellte sie mit den Fingerspitzen fest, dass er trocken war. Möglicherweise war das nur eine Falschmeldung ihrer hoffnungsvollen Sinne – schließlich konnte sie irgendwo in der Nähe Wasser von der Decke tropfen hören –, aber das glaubte sie eigentlich nicht.
Sie holte die nächste Sterno-Büchse aus dem Lederbeutel, bekam aber beim ersten Versuch den Verschluss nicht auf. Das Wesen rückte stetig näher, und jetzt konnte sie unter dessen klumpenförmigem erhobenem Kopf auch jede Menge kurzer, missgestalteter Beine sehen. Also doch kein Wurm, sondern irgendein riesiger Tausendfüßler. Oy baute sich vor ihr auf, kläffe weiter und fletschte zwischendurch sämtliche Zähne. Oy würde als Erster gefressen werden, wenn sie es nicht bald schaffte, diese Dose zu …
Schließlich glitt ihr Finger in den Ring, der beinahe flach auf dem Deckel lag. Sie hörte ein leises Knacken und Zischen. Roland schwenkte die Stablampe, um die Flammen noch einmal anzufachen (was hätte funktionieren können, hätte es dort noch Nahrung für sie gegeben), und Susannah sah ihre undeutlicher werdenden Schatten wie wahnsinnig über die lückenhaften Kachelwände tanzen.
Der Knochen, den sie geangelt hatte, war zu dick, um in die Sterno-Büchse zu passen. Unbeholfen auf Rolands Rücken liegend, halb in ihrem Tragegeschirr, halb herausgerutscht, steckte sie vier Finger in die Dose und bestrich das vordere Ende des Knochens mit dem geleeartigen Brennstoff. War der Knochen feucht, würden sie so nur wenige schreckliche Sekunden gewinnen. War er jedoch trocken, konnten sie vielleicht … ganz vielleicht …
Das Lebewesen kam unaufhaltsam näher. Zwischen den aus seinem Maul züngelnden Tentakeln konnte sie spitze Reißzähne sehen. Im nächsten Augenblick würde es nahe genug heran sein, um sich Oy zu schnappen, wie ein Gecko eine Fliege aus der Luft schnappte. Der Gestank nach verwestem Fisch war ekelerregend stark. Und was mochte sich dahinter drängen? Welche weiteren
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