Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
gibt eine Milliarde Universen, die eine Milliarde Realitäten enthalten. Das ist etwas, was mir klar geworden ist, seit ich aus der zurückgeholt worden bin, die der Ki’-dam immer wieder als meinen ›kleinen Urlaub in Connecticut‹ bezeichnet. Dieser schleimige Hundesohn!«
In Brautigans Stimme verbarg sich aufrichtiger Hass, fand Roland, und das war gut. Hass war gut. Er war nützlich.
»Diese Realitäten gleichen einem Spiegelkabinett, in dem es jedoch keine exakt gleichen Reflexionen gibt. Das ist ein Bild, auf das ich später zurückkommen möchte, aber das hat noch etwas Zeit. Vorerst möchte ich nur, dass ihr versteht – oder einfach akzeptiert –, dass die Realität organisch ist, dass sie lebt. Sie gleicht einem Muskel. Sheemie tut nichts anderes, als mit einer mentalen Injektionsspritze ein Loch in diesen Muskel zu piken. Über diese Nadel verfügt er nur, weil er etwas Besonderes ist …«
»Weil er ein Mork ist«, murmelte Eddie.
»Pst!«, sagte Susannah.
»… kann er sie einsetzen«, fuhr Brautigan fort.
(Roland überlegte, ob er zurückspulen sollte, um die fehlenden Worte zu hören, hielt das dann aber doch für überflüssig.)
»Dies hier ist ein Ort außerhalb der Zeit, außerhalb der Realität. Ich weiß, dass ihr etwas von der Funktion des Dunklen Turms versteht; ihr begreift seinen einigenden Zweck. Nun, stellt euch das Pfefferkuchenhäuschen als einen Balkon des Turms vor: Wenn wir uns darin aufhalten, befinden wir uns außerhalb des Turms, sind aber weiterhin mit dem Turm verbunden. Dieser Ort ist durchaus real – so real, dass ich mit Puderzuckerflecken an den Händen und an meiner Kleidung zurückgekommen bin –, aber nur Sheemie Ruiz hat zu ihm Zugang. Sobald wir hier sind, verwandelt er sich in alles, was Sheemie nur will. Man fragt sich, Roland, ob Sie und Ihre Freunde auch nur geahnt haben, was Sheemie wirklich ist und was er kann, als Sie ihm damals in Mejis begegnet sind.«
An dieser Stelle streckte Roland die Hand aus und drückte die Stopptaste des Tonbandgeräts. »Wir wussten, dass er … seltsam war«, erzählte er den anderen. »Wir wussten, dass er etwas Besonderes war. Cuthbert hat manchmal gesagt: ›Was ist nur mit diesem Jungen los? Er macht, dass mir die Haut kribbelt!‹ Und dann ist er in Gilead aufgetaucht, er und sein Esel Capi. Hat behauptet, dass er uns auf ihm gefolgt ist. Wir wussten, dass das unmöglich war, aber damals ist so vieles passiert, dass ein Saloonjunge aus Mejis – nicht gerade hell, aber fröhlich und hilfsbereit – unsere geringste Sorge war.«
»Er ist durch Teleportation hingekommen, oder?«, sagte Jake.
Roland, der dieses Wort bis zu diesem Tag noch nie gehört hatte, nickte sofort. »Zumindest muss er so den größten Teil der Strecke bewältigt haben; anders kann’s nicht gewesen sein. Wie hätte er zum Beispiel sonst den Fluss Xay überqueren können? Dort hat es nur eine intakte Brücke gegeben, eine Hängebrücke an Seilen, und als wir drüben waren, hat Alain die Seile durchgeschnitten. Wir haben beobachtet, wie die Brücke hundertfünfzig Klafter tiefer in den Fluss gestürzt ist.«
»Vielleicht hat er die Schlucht umgangen«, sagte Jake.
Roland nickte. »Schon möglich … aber das hätte einen Umweg von mindestens sechshundert Rädern bedeutet.«
Susannah stieß einen leisen Pfiff aus.
Eddie wartete ab, ob Roland noch mehr zu sagen hatte. Als klar war, dass das nicht der Fall war, beugte Eddie sich nach vorn und drückte wieder die Starttaste. Erneut füllte Teds Stimme die Höhle.
»Sheemie ist ein Teleporter. Dinky selbst ist präkognitiv begabt … unter anderem. Leider bleiben ihm auch viele Zugänge in die Zukunft versperrt. Solltet ihr euch also fragen, ob der junge Sai Earnshaw weiß, wie alles ausgehen wird, lautet die Antwort Nein.
Jedenfalls gibt es dieses von einer Injektionsnadel gepikte Loch im lebenden Fleisch der Realität … diesen Balkon an der Seite des Turms … dieses Pfefferkuchenhäuschen. Ein realer Ort, so schwer es auch sein mag, das zu glauben. Hier werden wir die Waffen und die sonstige Ausrüstung lagern, die wir dann in einer der Höhlen auf der anderen Seite der Steek-Tete für euch zurücklassen wollen, und hier bespreche ich also auch dieses Tonband. Als ich mein Zimmer mit diesem altmodischen, aber ziemlich gut funktionierenden Gerät unter dem Arm verlassen habe, war es 10.14 Uhr BHSZ – Blauer-Himmel-Standardzeit. Wenn ich zurückkomme wird es noch immer 10.14 Uhr sein.
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